Zwischen Beruf und Fansein: Dr. Jan Räker vom VfB Stuttgart über die Bedeutung des Rechts im Fußball

In Zeiten in denen die Medien die Öffentlichkeit universell und polyvalent abbilden, der Kommerz den Sport auf die Probe stellt und Gewaltbereitschaft so präsent wie lange nicht ist, rückt die Justiz zunehmend in den Fokus. Sei es um junge Spieler vor gierigen Beratern zu schützen, Vereine vor ausschreitenden Fans zu bewahren, oder das allgemeine Rechtsleben zu regeln – sicher ist, wer Recht hat! Dr. Jan Räker ist Direktor Recht beim VfB Stuttgart und Richter am CAS, der höchsten Instanz im internationalen Fußballgeschäft. Derzeit befindet sich der Klub bezüglich der Ausgliederung der Profiabteilung im Ausnahmezustand. Sportlich hingegen läuft es tadellos. TK hat exklusiv mit ihm gesprochen:

Guten Tag Herr Dr. Räker. Der Begriff des Sportrechts ist vielen vermutlich nur sehr vage bekannt. Sie sind als Jurist beim VfB Stuttgart tätig: Wie muss man sich Ihre Arbeit im Grundsatz vorstellen?
Ich bin beim VfB für alle juristischen Fragen zuständig, vom Spielervertrag bis hin zu Satzungsfragen, Tickets oder Markensachen. In dieser Funktion begleite ich sowohl die Arbeit des gesamten Vorstands, als auch die der anderen Fachbereiche. Dabei verschwimmen häufig die Grenzen zwischen juristischer und kaufmännischer oder fachlicher Beratung. Wo erforderlich, koordiniere ich auch die Inanspruchnahme externer Unterstützung.

Vor dem Engagement beim VfB Stuttgart waren Sie bei einer der bekanntesten Anwaltskanzleien Deutschlands beschäftigt: Prinz-Neidhardt-Engelschall in Hamburg. War es nach dem Schritt in die Juristerei ihr festes Ziel später einmal im Bereich des Sportrechts im Rahmen von Vereinen, oder Verbänden zu arbeiten?
Das Interessante an der Juristerei ist, dass sie nie nur um sich selbst kreist, sondern sich immer auf etwas aus dem Leben bezieht. Ein guter Jurist ist nicht nur als Rechtsexperte gut, er muss sich auch auf dem Gebiet auskennen, in dem sein Mandant sich bewegt. Und da der Sport, ganz besonders der Fußball, eine Leidenschaft von mir ist, habe ich schon früh darauf hingearbeitet, in diesem Bereich arbeiten zu können.

Nun sind Sie doch schon einige Jahre im Geschäft und haben vieles miterlebt. Wie hat sich die Bedeutung des Sportrechts innerhalb des Fußballs im Laufe der Zeit verändert?
Mit der Steigerung der Umsätze geht notwendig auch eine Professionalisierung vieler Bereiche einher. Das betrifft natürlich auch den Bereich Recht, der einen immer breiteren Raum einnimmt.

Kommt man hier dann auch mit den Spielern des Vereins in Berührung? 
Ich bin der Jurist des Clubs und als solcher in vielen Verhandlungen nicht auf der Seite der Spieler. Ich lerne unsere Spieler in der Regel bei ihrer Verpflichtung kennen. Danach sieht und grüßt man sich zwar regelmäßig, dienstliche Berührungspunkte gibt es aber nur noch selten, etwa im Falle von roten Karten.

Vor allem die so genannten „Big Player“ haben in der modernen Zeit eine enorme Strahlkraft und hohe Bedeutung in den Bereichen Wirtschaft, Politik sowie in der Gesellschaft. Wie wirkt sich eine so enorme Popularität von Vereinen wie Bayern München, dem FC Barcelona, oder Manchester United im alltäglichen Rechtsleben aus?
So gut wie gar nicht. Es ist eher so, dass die wachsende Popularität dieser Clubs dort zu Veränderungen im rechtlichen Bereich, nämlich zu dessen Ausbau, führt.

Für Laien ist die Welt des Sportrechts eher unnahbar und macht den Fan dennoch häufig zum kurzzeitigen Alibi-Experten, wenn es darum geht präsente Streitigkeiten zu beurteilen. Hat der Job im Laufe der Zeit ihren Blick auf die Dinge ein wenig verändert und fällt es als Fan des Fußballs oftmals schwer eine Entscheidung abweichend ihres Empfindens zu treffen?
Wichtige Entscheidungen werden auch beim VfB Stuttgart vom Vorstand getroffen, nicht von mir. Für Juristen fallen rechtlich richtige und sachlich-emotional richtige Entscheidungen zudem recht selten auseinander. Aber es stimmt: Die Arbeit in der Branche und das Verständnis vieler Hintergründe verändert den Blick auf den professionellen Fußball nachhaltig. Dabei wird das eigene Fan-Herz zu Gunsten einer weniger emotionalen Betrachtungsweise zurückgedrängt. Daran ist aber nichts verkehrt. Clubs, die ihre Entscheidungen nicht professionell, sondern nur auf Basis von Emotionen treffen, können nicht langfristig erfolgreich sein. Wichtig ist aber, die Emotionen der anderen ernst zu nehmen und bei den eigenen Entscheidungen in vernünftiger Weise zu berücksichtigen.

Gerade die rasant wachsende Medienpräsenz und –konvergenz durch eine Vielzahl an Boulevardmedien und Social-Media-Kanäle führen einen gnadenlosen Kampf um brisante Top-Stories. Wo liegen als Justiziar Ihre Berührungspunkte mit der Presse und in wie weit erschwert es die Arbeit eines Sportrechtlers?
Unmittelbare Berührungspunkte zu den Medien sind sehr selten. Insofern gibt es auch keine spürbaren Beeinträchtigungen. Alle Bereiche eines Bundesliga-Clubs müssen aber wissen, dass ihre Arbeit über die Medien eine öffentliche Wirkung bekommen kann. Das gilt für mich wie für alle anderen auch.

In Zeiten vielschichtiger Marketing-Möglichkeiten ist vermutlich eine Exklusivität von Marken- und Werberechten nur schwer zu gewährleisten. Wie groß ist hier die Bedeutung der Juristen für Vereine und Verbände?
Sie ist ganz wesentlich, denn die rechtliche Absicherung der Vermarktungsmöglichkeiten ist ebenso wie die deren Verteidigung ganz primär eine rechtliche Frage. Im Sport gilt aber auch hier: Nur weil man Recht hat, muss man es nicht gleich auch durchsetzen. Wichtig ist nur, dass man es könnte.

Die FIFA feilt stetig an den Verbandsregularien. Wie stark wird hier in die Verträge von Profi-Fußballern inbegriffen?
Sehr stark. Begonnen damit, dass es Obergrenzen für die Laufzeitzeit von Verträgen gibt, über das Verbot bestimmter Inhalte bis hin zur Beschränkung internationaler Transfers von jungen Spielern gibt es zahlreiche Vorgaben, innerhalb derer wir uns bewegen. Weitere Vorgaben kommen von der DFL, insbesondere bei den Vermarktungsrechten. Entsprechend wichtig ist es, hier Entwicklungen zu kennen und vorherzusehen.

Auch das Beratergeschäft ist heutzutage ein sehr präsentes Thema in der Hochzeit der Transferphasen. Mino Raiola ist vermutlich hier das Idol vieler, die diesen Beruf als einen der erfülltesten im Bereich des Fußball-Business ansehen. Gibt es für solch mächtige Männer wie ihn überhaupt Grenzen?
Die Grenze für jeden Berater liegt dort, wo er keinen Club findet, der mitmacht oder wo die verbandrechtlichen Regularien eingreifen, welche zuletzt in manchen Bereichen deutlich gelockert, in anderen hingegen verschärft wurden. Und diese Grenzen werden natürlich ständig ausgelotet. Dessen ungeachtet leisten seriöse Berater für uns Clubs sehr wertvolle Dienste. Über die Angemessenheit der Honorare gibt es natürlich unterschiedliche Meinungen, aber diese Diskussion wird ja für alle Maklerberufe ähnlich geführt.

Um beim Transfergeschehen zu bleiben: Spielertransfers scheinen in der Theorie immer recht simpel zu sein. Wie darf man sich einen Spielerwechsel rein rechtlich vorstellen? Gibt es hier Vorschriften die Spieler, Verein und Berater regulieren?
Die gibt es, wie schon gesagt. Sowohl die FIFA als auch der DFB haben Spielervermittler-Reglements erlassen, welche die Clubs verpflichten, bei der Zusammenarbeit mit den Beratern bestimmte Regeln einzuhalten. Rechtlich ist ein Spielertransfer letztlich nur ein Arbeitgeberwechsel, allerdings einer mit der Besonderheit, dass keine der Parteien den Vertrag einseitig kündigen kann. Das versetzt den abgebenden Club häufig in die Lage, vom neuen Club als Gegenleistung für die Auflösung des bisherigen Arbeitsvertrages die Zahlung einer Geldsumme zu verlangen, der Ablösesumme. Diese Besonderheit ist keine Ausbeutung der Spieler, zumal sie ja auch die Vereine an sportlich verzichtbare Spieler bindet. Sie ist sogar bei zeitlich befristeten Verträgen eigentlich der gesetzlich vorgesehene Regelfall. Im normalen Arbeitsleben haben die Arbeitgeber daran aber wenig Interesse und behalten sich in den Arbeitsverträgen daher auch bei befristeten Arbeitsverhältnissen zumeist ein Kündigungsrecht vor.

Gerade junge Spieler sind im modernen Scouting attraktive „Ware“. Werden diese durch den Verband geschützt?
Für junge Spieler gelten mehrere besondere Vorschriften, welche ihren Schutz bewirken sollen. Spieler, die jünger sind als 18 Jahre, dürfen nur für maximal 3, statt 5, Jahre vertraglich gebunden werden. Internationale Wechsel sind nur bei der Erfüllung bestimmter Bedingungen erlaubt. Und die Clubs dürfen für Verträge mit Minderjährigen keine Berater bezahlen.

Erst jüngst hat Borussia Dortmund unter dem Treiben seiner Fans gelitten und seine prestigeträchtige Südkurve verstummen lassen müssen. In wie weit können Vereine für Ausschreitungen und ethisches Fehlverhalten ihrer Zuschauer zur Verantwortung gezogen werden und ab wann können sich Strafen gegen einzelne Fans, oder Anhängergruppen richten?
Einzelne Fans oder Fangruppen unterliegen nicht der Sanktionsgewalt des DFB. Die Vereine haften hingegen gegenüber dem DFB nach § 9a der Rechts- und Verfahrensordnung des DFB verschuldensunabhängig für das Verhalten ihrer Anhänger. Grund hierfür ist, dass die mögliche Bestrafung des eigenen Lieblingsvereins die Fans zur Einhaltung bestimmter Verhaltensregeln bewegen soll. Das ist für uns Clubs natürlich sehr ärgerlich, zumal es neben der wirtschaftlichen Belastung selbst auch zwischen uns und unseren eigenen Fans ein dauerhaftes Konfliktthema schafft. Tatsache ist aber auch, dass dies die Clubs wirksam dazu anhält, alles zu tun, um ein Fehlverhalten der Fans zu minimieren. Genauso wie sicher auch viele Fans Rücksicht auf Ihren Verein nehmen. Letztlich dient die Regelung wirksam der Vermeidung von negativen Vorkommnissen, wie den gesehenen Angriffen auf friedliche Fußballfans, welche uns mittelfristig viel mehr schaden würden als die Strafen des DFB. Sollte es zu einer solchen Strafe kommen, können die Clubs die Übeltäter aber auch in Regress nehmen, sofern sie diese identifizieren können.

Seit 2015 sind Sie nun (Schieds-)Richter beim CAS in Lausanne. Beschreiben Sie uns doch kurz die Aufgaben des CAS und wie dessen Stellung im internationalen Sportrecht aussieht?
Der CAS ist das internationale Sportschiedsgericht, welches vom IOC und allen Fachverbänden, z.B. der FIFA, als Rechtsmittelinstanz anerkannt ist. Wer mit einer Entscheidung der FIFA nicht einverstanden ist, kann sie beim CAS anfechten. Der CAS ist damit faktisch das höchste Gericht im Weltsport. Seine Entscheidungen können noch vor dem Schweizer Bundesgericht, das ist der oberste staatliche Gerichtshof der Schweiz, angegriffen werden. Die Entscheidungen werden meist von drei Richtern getroffen, zwei von den beiden Parteien benannt, einer vom CAS selbst. Die Richter sind aber nicht nur formell unabhängig, sondern treten in den Verhandlungen und den internen Beratungen auch faktisch nicht als Interessenvertreter der Parteien auf. Als Richter ist es, genau wie bei einem staatlichen Gericht, meine Aufgabe, aus den vorgebrachten Tatsachen und Argumenten gemeinsam mit den Kollegen zur richtigen Entscheidung zu kommen.

Abschließend möchten wir Sie nach Ihrer persönlichen Einschätzung fragen: Wohin führt der Weg und somit die Entwicklung des Sportrechts?
Entsprechend der allgemeinen Marktentwicklung erwarte ich eine weitere Professionalisierung auch in diesem Bereich. Es wird daher weiterhin steigende Nachfrage nach entsprechenden Experten geben und die Anforderungen an deren Arbeit werden ebenfalls noch weiter steigen. Die fortschreitende Verwirtschaftlichung des Sports wird auch zur Folge haben, dass immer öfter kartell- und wettbewerbsrechtliche Fragen die Diskussion der wesentlichen politischen und regulatorischen Entscheidungen dominieren werden.

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