15 Jahre ist es her, als die deutsche Nationalmannschaft bei der EM 2000 mit Pauken und Trompeten in der Vorrunde ausgeschieden ist. Die Mannschaft galt als überaltert, der Trainer Erich Ribbeck wirkte ratlos. Dieser Stich ins Herz der deutschen Fanseele ließ die Verbandsoberen umdenken und fortan verschrieb man sich dem erfolgsversprechenden Konzept der verpflichtenden Nachwuchsförderung in den kurz darauf entstehenden Akademien. Eine Erfolgsgeschichte, die den kränkelnden Patient aufbaute, dem deutschen Fußball viele Talente bescherrte und 2015 im Gewinn der Weltmeisterschaft gipfelte. Blickt man heute in die Nationalmannschaft und Bundesliga, ist der Markt überschwemmt mit technisch hochklassigen Nachwuchsspielern, die das Herz des deutschen Fußballs bilden. Umso bemerkenswerter ist der Werdegang von Philipp Wollscheid, der fernab der Nachwuchsakademien und Talentscouts, aus den unterklassigen Niederungen auf Schotterplätzen eine interessante Karriere hingelegt hat, die ihn sogar bis ins Nationalteam spülte. Wer dieser Mann ist, was ihn bei seinem neuen Abenteuer in England erwartet und warum Wollscheid in England zur internationalen Klasse heranreifen könnte, liest du im folgenden Artikel.
Stoke-on-Trent, eine typische kleine englische Industriestadt, zirka eine Stunde entfernt von London, ist seit Januar 2015 die neue Heimat von Innenverteidiger Philipp Wollscheid und nach einem halben Jahr zog Stoke City dann auch die Kaufoption in Höhe von 3,8 Millionen Euro. Generell scheint die Verpflichtung des introvertierten 26-Jährigen ideal zum wohltuend bodenständigen Image der Potters von Stoke City zu passen, denn schließlich haben nicht erst seit Per Mertesacker, Jerome Boateng und Robert Huth Innenverteidiger „Made in Germany“ Hochkunjktur in der Barclays Premier League. Trotzdem erschien es als überraschend, als Wollscheid im Winter die Koffer packte und Deutschland verließ. Eine Reise ins Ungewisse, die ihm vor allem Spielpraxis versprechen sollte, aber auch eine große neue Welt offenbaren sollte, deren einmalige Gelegenheit, sowohl Chancen als auch Risiken für den 2-maligen deutschen Nationalspieler bot.
Nur fünf Jahre zuvor, konnte Wollscheid von solchen Angeboten nur träumen. Als Spieler beim FC Saarbrücken und der Nürnberger Reserve schien eine Profikarriere utopisch, sodass er früh zweitgleisig plante und seine Ausbildung abschloss. Beim kriselnden FC Nürnberg wurde der unaufgeregte, resolute Wollscheid dann ins kalte Wasser geschmissen, schwamm sich frei und spielte sich fest in der Nürnberger Innenverteidigung. Diese Leistungen blieben nicht lange unentdeckt und so folgte für sieben Millionen Euro der Wechsel nach Leverkusen, bei denen er zwar anfangs auf viel Spielpraxis kam und überzeugen konnte, allerdings dann unter Hypiä, Lewandowski und Roger Schmidt nur geringe Spielanteile erhielt, was ihn nach Mainz spülte, bei denen er allerdings verletzungsgeplagt nur fünf Spiele beschreiten konnte.
Wahrlich nicht die besten Voraussetzungen für den Start in England, doch die Fans im Britannia Stadium schlossen ihn schnell ins Herz, da seine kompromisslose Spielweise, dem guten Spielaufbau und den gut getimten Grätschen, direkt für Dopaminausstöße beim Anhang im Debüt gegen Arsenal London sorgte, dass Wollscheid mit einem dunkelgrauen Trikot und schweißgetränkt beendete. Eine Malochereinstellung, die bereits bei Vereinskameraden wie Roberth Huth und dem Waliser Ryan Shawcross für Entzückung sorgte. Mit letzterem bildet Wollscheid nun die zentrale Defensive, da Muniesa große Teile der Rückrunde verletzungsbedingt verpasste. Gerade Muniesa gilt auch als schärfster Konkurrent im Kampf um den Startplatz, da man mit Huth, der bereits nach Leicester ausgeliehen war, nicht weiter plant. Mit 12 Spielen avancierte der gebürtige Saarbrückener also sofort zum Stammspieler von Trainer Mark Hughes, sodass Stoke City mit Wollscheid, aber auch namhaften Spielern wie Peter Crouch, Bojan Krkic und Victor Moses, aber auch Ex-Bundesligaspielern wie Marko Arnautovic und Mame Diouf einen gesicherten Mittelfeldplatz erreichen konnte.
Der Start ist gelungen, der Verein und das Umfeld stehen, bis auf vereinzelte gehässige Fankommentare im Internet über seine bekannten Defizite im Sprint, wie eine Wand hinter ihm und es ist durchaus wahrscheinlich dass Wollscheid beim zweitältesten Club der Welt (hinter Notts County), die nächsten Schritte machen kann und zum unangefochtenen Stammspieler wird, bei Stoke City und vielleicht auch irgendwann wieder in der Nationalmannschaft wiederzufinden sein wird. Momentan zwar unrealistisch, aber wie die Selfmade-Karriere Wollscheid beweist, auch nicht unmöglich. Fragen Sie mal Erich Ribbeck!