Guten Tag Herr Meier, Ihr ZDF-Kollege und Trainer Jürgen Klopp meinte einst scherzhaft, dass man nur Schiedsrichter wird, weil man selbst nicht kicken kann. Wenn wir mit der Zeitmaschine in Ihre Anfangszeit als Schiedsrichter reisen: Wie begabt war der Fußballer Urs Meier und was hat Sie damals bewogen Schiedsrichter zu werden?
Da hat der Jürgen wieder einmal recht, ich war ein mittelmässig begabter Spieler und realisierte mit 14 Jahren, dass es zu einer internationalen Karriere nie reichen würde. Da ich aber unbedingt einmal im San Siro Stadion in Mailand vor 80000 Menschen als Aktiver einlaufen, diese Stimmung erleben wollte, habe ich mit entschlossen den Weg eines Schiedsrichters einzuschlagen und habe dies nie bereut.
Sie sammelten in über 800 Spielen als Schiedsrichter eine Menge Erfahrung. Was zeichet für Sie einen Schiedsrichter auf Topniveau aus und welche Eigenschaften sind elementar?
Er braucht vor allem Persönlichkeitswerte wie Ehrlichkeit, Mut, Durchsetzungsvermögen, Entschlossenheit, dazu muss er Menschen mögen, sich selbst reflektieren, kritikfähig und echt sein und sich immer wieder weiterbilden. Er muss über eine überdurchschnittlich gute physische und psychische Verfassung verfügen und ein grosses Fussballverständnis haben.
Ein Buch von Ihnen trägt den Titel „Du bist die Entscheidung – schnell und entschlossen handeln“. Im Fußball mussten Sie in Sekundenbruchteilen Entscheidungen treffen, doch auch im Privatleben stellt Entscheidungsfreude einen wichtigen, doch bei vielen Menschen unterentwickelten Aspekt dar. Wie bereiteten Sie sich damals mental auf wichtige Spiele vor und welche Erfolgsprinzipien können allgemein helfen, schneller Entscheidungen zu treffen?
Ich versuchte eigentlich immer in eine gute Stimmung, in einen „Flow“ zu kommen, d.h. ich habe vor wichtigen Spielen Dinge gemacht, welche mir Freude bereitet haben, z.B. Freunde zum Essen eingeladen, Motorrad- oder Ski gefahren, im Kino einen schönen Film angeschaut usw. damit war ich dann in einer guten Stimmung und habe mich dann auf das Spiel gefreut und dabei positive Bilder abgerufen, nie negative Bilder und dann im Spiel nicht zu viel überlegen! Wenn man zu viel darüber nachdenkt, was für Auswirkungen die Entscheidungen haben, dann ist man blockiert und trifft die Entscheidungen nicht mehr.

Sie vertreten die Meinung, dass theoretisch viele Personen ein Spiel pfeifen können, jedoch nur Wenige ein Spiel wirklich leiten können. Welche Unterschiede sehen Sie dort?
Leiten heisst eben auch unpopuläre, rasche Entscheidungen zu treffen, das Spiel in die eigenen Hände zu nehmen und die Leitplanken zu setzen, welche es braucht, damit die Partie in fairem Rahmen verläuft. Dazu braucht es mehr als nur eine Pfeife, dazu benötigt man Persönlichkeit und Fachkenntnisse.
Der Profisport entwickelt sich rasant weiter und viele technische Mittel finden Einzug in den Fußballsport. Wie stehen Sie zur Technik im Sport und der aktuellen Entwicklung der Schiedsrichter-Branche?
Ich denke, dass wir mit der Tortechnologie schon einmal ein, für den Schiedsrichter, wichtiges Mittel erhalten haben. Nun stellt sich die berechtigte Frage, ob wir noch weitere technische Unterstützung benötigen. Die FIFA hat nun entschieden, dass die Hilfe eines Videoschiedsrichters getestet werden kann. Diese Tests werden nun diese Saison in den USA, den Niederlanden und Deutschland durchgeführt und dann in der Saison 2017/18 auch auf den Spielfeldern angewandt. Sollten diese Versuche zu einer Verbesserung des Spieles, des Fussballs beitragen, wird dies dann weltweit eingesetzt, falls nicht, war es den Versuch wert.
Sie reichten in der Vergangenheit bei der UEFA einen Entwurf für die Schaffung von Profischiedsrichtern ein. Welche Vorteile würde diese Installierung zur jetzigen Regelung mit sich bringen?
Die Zeit der Amateurschiedsrichter in diesem so professionellen Fussballbusiness ist schon lange vorbei, leider haben dies die Verbände noch nicht realisiert. Eine Verbesserung im Schiedsrichterwesen kann nur über die Professionalisierung führen, da die (Amateur-) Zitrone schon längst ausgedrückt ist und keinen Saft mehr produziert. Die Frage ob ein Profi besser ist als ein Amateur stellte man sich in den 70er Jahre, ich glaube die Antwort kann heute jeder geben oder können sie sich vorstellen, dass heute noch ein Amateur beim FC Bayern München mitspielen könnte?
Sie erlebten 2004 nach dem EM-Spiel Portugal gegen England an eigener Haut welchen Druck Medien aufbauen konnten, als Sie Morddrohungen, 16.000 Protestmails und Medienhetze erlebtem. Sie kennen als Experte für den ZDF sowohl die sportliche, als auch die mediale Seite. Wie haben Sie damals diese Situationen erlebt und hat sich das mediale Bild der Schiedsrichter-Branche geändert?
Ich wurde damals von der UEFA, von der Schiedsrichterkommission nicht geschützt, d.h. erst am vierten Tag wurde ein Statement abgegeben, in dieser Zeit konnten die Medien das Ganze immer weiter aufbauschen und aus einem Bach wurde ein reissender Fluss. Dabei hätte man ganz einfach ein Standbild mit einem Kommentar ins Internet stellen können und jedermann, auch die Engländer, hätten gesehen, dass der Entscheid richtig war. Unterdessen versuchen die Medienschaffenden die Schiedsrichterleistung etwas differenzierter, wohlwollender zu bewerten, welches natürlich für mehr Akzeptanz und Ruhe sorgt.

Neben dem medialen Druck gibt es auch viele Fans, die sich Schiedsrichter als beliebten Sündenbock suchen und eine große Emotionalität in den Sport bringen. Sie haben mehrere Fälle erlebt, als Sie und Ihre Familie von Polizeischutz begleitet wurden. Was würden Sie einem Schiedsrichter am Anfang seiner Karriere raten, um dennoch die Kraft und mentalen Fokus zu haben, unparteisch und ruhig seinen Stil durchzuziehen?
Immer ehrlich zu sein, zu seinen Fehlern stehen und sich nicht von seiner klaren Linie abbringen zu lassen. Es wird immer wieder Spiele geben, welche nicht so gut laufen, wo die Entscheidungen von den Spielern, Zuschauern, Medien anders gesehen werden.
Nach Ihrem Karrierende gründeten Sie die Urs Meier Management AG und treten regelmäßig als Vortragsredner. Was wollen Sie dort den Menschen vermitteln?
Ich zeige die Parallelen zwischen meiner Tätigkeit als Schiedsrichter, dem Fussball und dem Leben in Business und im Privaten auf und was es braucht um langfristig erfolgreich zu sein. Dass sie motiviert sind zu entscheiden, sie selbst zu sein, Leader zu sein.
Sie schrieben nun eine Biographie „Mein Leben auf Ballhöhe“. Was können sich die Leser davon erfahren und welche spannende Anekdote können Sie unseren Lesern aus dem Buch erzählen?
Ich denke, dass dieses Buch wirklich gut gelungen ist und es ganz viele spannende Momente aus meinem (Schiedsrichter-) Leben enthält, welche aufzeigen, dass es sich lohnt ein Ziel zu haben und dieses auch zu erreichen: Visionen ohne Taten sind Träume, Taten ohne Visionen sind verlorene Zeit, doch Visionen und Taten zusammen können die Welt verändern.
Zum Abschluss dieses ausführlichen Interviews möchten wir von Ihnen wissen, auf welche Transfers freuen Sie sich besonders in der kommenden Saison und wo informieren Sie sich als Privatperson über Fußball?
Ich freue mich immer wieder darüber, wenn gute Spieler in die Bundesliga kommen oder zurückkehren. Die Informationen erreichen mich über die unterschiedlichsten Kanäle, wenn man offen und interessiert ist, dann nimmt man diese auch auf wie ein trockener Schwamm. Transferkritiker werde ich dabei in Zukunft genauer auf dem Radar haben.
Vielen Dank für das Interview!
Buch: Urs Meier – Mein Leben auf Ballhöhe