Transferabrechnung: Chicharito

Der Fachmann staunte und der Laie wunderte sich, als am letzten Tag der Sommer-Transferperiode plötzlich die Nachricht durchsickerte, dass Bayer Leverkusen Javier Hernandez, besser bekannt als „Chicharito“, von Manchester United verpflichten würde. Bei diesem Coup spielte übrigens auch ein ganz besonderer Blick eine Rolle. Nämlich der von Louis van Gaal, dem Trainer der Red Devils. Es war der Blick, den er seinem Assistenten zuwarf, als Chicharito im Champions-League-Playoff-Spiel gegen den FC Brügge einen Elfmeter verschoss. Als der Spieler diese Szene am späten Abend in der TV-Aufzeichnung sah, wusste er, dass er von diesem Trainer nicht mehr allzu viel zu erwarten hatte.

Wie kam der Wechsel zustande?


Nun also Bayer Leverkusen. Die Verantwortlichen des Werksklubs hatten seit langem ein Auge auf diesen Spieler geworfen. Manager Jonas Boldt, verantwortlich für die Transferpolitik, suchte in Abstimmung mit Trainer Roger Schmidt einen Angreifer, der als Ergänzung zu Stefan Kießling gelten sollte. Kein Backup von ähnlicher Statur und Spielart, sondern einen anderen Typ. Den verkörpert der Mexikaner auf alle Fälle: Er ist relativ klein, aber trotzdem stark im Kopfball. Er ist schnell und beidfüßig, er besitzt die Gabe, sich im Rücken der Innenverteidigung davon zu schleichen und so in Torsituationen zu gelangen.
Boldt nahm früh Kontakt zu diesem Top-Spieler auf, der normalerweise nicht für Klubs wie Bayer infrage kommt. Doch Leverkusens junger Manager – wir erinnern uns: Er holte bereits Arturo Vidal und Charles Aranguiz – ließ nicht locker. Dass er perfekt spanisch spricht, kam ihm zusätzlich zu Gute. Lateinamerikanische Spieler mögen es, wenn man sich um sie kümmert, sie umschwärmt und ihnen deutlich macht, dass man sie haben will. Dies nutzte Boldt aus, ließ nicht locker, setzte sich immer wieder mit dem Spieler und dessen Berater in Verbindung. Und irgendwann gingen wie bei einem Jump’n’Run-Spiel alle Türen auf, alle Hindernisse verschwanden. Für etwas über 11 Millionen Euro wechselte das mexikanische Idol zum Bundesligisten, der – so viel Ehre muss sein – als Dauergast der Champions League durchaus einen guten Ruf in der Fußball-Welt genießt.

Die beidseitigen Erwartungen:


Bayer scheint von diesem Spieler übrigens nicht nur sportlich zu profitieren: Abertausende Fans des Mexikaners folgten ihrem Nationalhelden medial, die Likes, Friends und Follower der Bayer 04-Accounts auf sämtlichen sozialen Netzwerken erreichten neue Dimensionen. Bilder des Neulings werden von den Mexikanern gefeiert, zudem sieht man auch in der BayArena immer mehr Anhänger mit Sombreros aus dem Land der Azteken. Sein Trikot mit der Nummer 7 ist heiß begehrt, wird auch kräftig nach Übersee verschickt, mittlerweile denkt man bei Bayer 04 über neue Wege des Marketing mit der „kleinen Erbse“ nach. Für das Wintertrainingslager in Florida ist bereits angedacht, einen Fan-Artikel-Verkaufsstand zu installieren, für den in Orlando stattfindenden Florida-Cup werden hunderte Fans aus Mexiko erwartet. Ein völlig neues Gefühl für die Werkself, die gerade in diesen Bereichen bislang von der Öffentlichkeit eher etwas stiefmütterlich behandelt wurde. In diesen Bereichen die Erwartungen also definitiv bereits erfüllt.
Doch wie sieht es mit den sportlichen Erwartungen aus? Der Spieler kam am 31.8. in Leverkusen an, pünktlich in der Länderspielphase. Er hatte also mehr Zeit, sich zu integrieren als andere Spieler, zumal er von den Mexikanern ein Spiel erlassen bekam, um sich auf die neue Situation einstellen zu können. Leicht allerdings war es nicht: Im Team sprechen wenige Profis Spanisch, Kommunikation also war nur auf Englisch möglich oder eben mit Händen und Füßen. Auch in den ersten Spielen sah es nicht immer ganz glücklich aus. Der eigentlich technisch versierte Angreifer offenbarte immer mal wieder Probleme, Bälle zu kontrollieren, was dem angriffsorientiertem Spiel der Leverkusener schadete. Es brauchte also seine Zeit, ehe er sich integriert hatte. Doch mittlerweile ist klar: Chicharito ist ein Gewinn für Bayer. Vier Treffer in der Liga, vier in der Champions League, zwei im Pokal – diese Bilanz kann sich sehen lassen. In Erinnerung sind allerdings auch zwei „Tore“, die er nicht machte: Als Bayer in Barcelona 1:0 führte, Bellarabi ihn wunderbar frei flankte und er fünf Meter vor ter Stegen vergab. Dann eine ähnliche Situation gegen die Roma, zwei Tore hatte er gemacht, drei hätten es sein müssen – wäre er nicht völlig freistehend vor dem Tor der Römer mit seinem Kopfballaufsetzer gescheitert. Auch in der Bundesliga vergab er gegen den HSV und den VfB Stuttgart hundertprozentige Torchancen. Allerdings: Wer verwertet schon alle Chancen – das schafft nicht einmal Leo Messi.
Tore und Chancen aber sind deutliches Zeichen dafür, dass er sich mittlerweile komplett integriert hat in das Spiel der Leverkusener. Er wartet immer nah an der Abseitskante auf den Vertikalpass in die Schnittstelle, lauert auf Flanken, die er dank seiner immensen Sprungkraft (er ist nur 1 Meter 75 groß) und seines guten Timings auch häufig Richtung Tor lenkt. Dass er es auch von außerhalb der Box kann, bewies er mit seinem ersten Bundesligatreffer, als er gegen Mainz drei Mann austanzte, aus 18 Metern abzog und der Ball abgefälscht ins Tor ging.

Die Systemfrage:


Einzig und allein sein Sturmpartner bleibt ungeklärt. Aufgrund der Formation, die Roger Schmidt praktiziert, sowie der inkonstanten Leistung einiger Mitstreiter, spielt häufig ein Anderer neben dem gesetzten 27-Jährigen. Sei es Mehmedi, Calhanoglu, Kießling oder auch Bellarabi gewesen – der Mexikaner traf als einziger konstant. Stefan Kießling scheint nicht mehr in der Lage, 40 Spiele pro Saison mit seinem ganz speziellen Aufwand zu schaffen. Aktuell ist er Ergänzungsspieler, eine Rolle, mit der er sich nur schwer zurecht findet. Dabei könnte er mit seinen Fähigkeiten durchaus eine gute Ergänzung zu Chicharito sein, ihm Kopfbälle ablegen, zweite Bälle holen, Lücken für ihn reißen. Roger Schmidt sieht dies offenbar anders.

Fazit:

Die „kleine Erbse“ dagegen macht ihre Sache so gut, dass der Trainer ihr immer vertraut. Chicharito läuft die gegnerische Abwehr früh an, holt sich auch mal Bälle im Mittelfeld, versucht, Angriffe einzuleiten.
Der Mexikaner ist mit einem 3-Jahres-Vertrag bis 2018 ausgestattet. Bisher sieht es nicht danach aus, als würde er diesen nicht erfüllen. Allerdings: Hat er weiter Erfolg, Bayer aber nicht – dann kann es schnell passieren, dass die Klubs aus den reichen Ligen in England und Spanien wieder neugierig werden auf Javier Hernandez „Chicharito“. Deshalb wünschen sich die Fans in Leverkusen, dass seine Tore Bayer in die Champions League bringen – das würde einen Abschied so oder so erschweren!

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