Hamburger Umbruch: Mit Mavraj auf dem Weg nach oben?

Willkommen zur ersten Ausgabe unserer neuen Reihe „Bares gegen Rares: HSV-Edition“. Hauptdarsteller ist ein strauchelnder Bundesligaverein aus Hamburg, ausgestattet mit einem prall gefüllten Geldbeutel. Genau wie in der ZDF-Sendung versucht Heribert Bruchhagen möglichst gute Deals zu landen, um wertvolle Raritäten sein Eigen nennen zu können. Alles ist dem einen Ziel untergeordnet: den HSV aus der Graumäusigkeit herausführen und eine Sammlung zu präsentieren, die auch den höheren Ansprüchen der Hansestädter genügt. In Folge 1 präsentieren wir einen albanischen Abwehrstabilisator, der in letzter Zeit kräftig aufpoliert worden ist und ab sofort das Hamburger Wohnzimmer „Volksparkstadion“ zum Glänzen bringen möchte: Mergim Mavraj.

Ein Leader wie er im Buche steht

Bei seinen bisherigen Profi-Stationen in Darmstadt, Bochum, Fürth und Köln hat sich Mavraj stets zu einem unumstrittenen Stammspieler entwickelt. In Darmstadt noch zum beliebtesten Spieler gewählt, setzte er sich in Bochum erstmals auch in der 2. Bundesliga durch. Seine Leistungen waren derart beeindruckend, dass Fürth ihn bereits im Januar 2011 verpflichtete, statt erst im folgenden Sommer, um die eigenen Aufstiegsambitionen zu untermauern. Mit Mavraj schaffte man schließlich auch den Bundesligaaufstieg. Der Albaner führte die Kleeblätter als Kapitän durch das einjährige Abenteuer und wusste als einer der wenigen Spieler zu überzeugen. Nach dem Bundesligaabstieg und dem daraufhin verpassten Wiederaufstieg zog es ihn schließlich zum 1. FC Köln, für den er nun zweieinhalb Jahre aktiv war.

Seit der EM im vergangenen Sommer, bei der er alle drei Vorrundenspiele für Albanien über 90 Minuten bestritt, war er aus der Kölner Dreierkette nicht mehr wegzudenken. Er bestritt alle Spiele über die volle Distanz in der Hinrunde, ist mit seiner Leistung vorangegangen und hat sich auch bei seiner vierten Station als Führungsspieler etabliert. Der Kölner Höhenflug ist ihm ebenfalls mit zu verdanken, denn die Domstädter kassierten die zweitwenigsten Gegentore in der Hinrunde. Beliebt bei den Mitspielern, geliebt von den Fans und geschätzt von der Vereinsführung zieht es ihn nun in die Hansestadt, in der er das Hamburger Flaggschiff vor dem Sinken retten soll.

Timing ist alles

Dass Mavraj damit die zweitbeste gegen die zweitschwächste Abwehr eintauscht, ist vor allem seinen vertraglichen Umständen geschuldet. Denn obwohl sein Vertrag im kommenden Sommer ausläuft, kam man in den bisherigen Vertragsverhandlungen nicht überein – sehr zum Unmut der Fans. Da die Verantwortlichen Mavraj keinen langfristigen und möglicherweise höher dotierten Vertrag zusprechen wollten, schlug der HSV zu. Für 1,8 Mio. Euro konnte man den Abwehrchef loseisen und wusste wohl vor allem finanziell zu überzeugen. Ein Deal, der für alle Beteiligten passt. Mavraj erhält wahrscheinlich seinen letzten großen Vertrag, der 1. FC Köln kassiert eine ordentliche Ablösesumme für einen Spieler, der im kommenden Sommer ablösefrei gewesen wäre und der HSV verpflichtet einen Führungsspieler, der dieses Prädikat wahrlich verdient.

Mavraj hat seinen Arbeitsauftrag folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Ich soll defensiv den Laden zusammenhalten, eine Stütze für meine Nebenmänner sein und meine Erfahrung einbringen.[…]Ich möchte für Ruhe sorgen und Verantwortung übernehmen und identifiziere mich voll mit dieser Aufgabe. Es sind genau die Tugenden, über die ich mich selbst und mein eigenes Spiel definiere. Deshalb passt es auch so gut.“ (Hamburger Morgenpost, 27.12.16).

Was nach leeren Worthülsen klingt, lässt sich statistisch in dieser Saison bestens belegen. Ein kurzer Ausflug in die Opta-Datenabteilung: Mavraj verzeichnet eine Passquote von 88% bei insgesamt vier (!) Ballverlusten in der gesamten Hinrunde. Seine Zweikampfquote liegt bei 60% und sogar noch höher, wenn er ins Tackling, 69%, oder in den Luftzweikampf, 66%, geht. Ein passstarker Aufbauspieler, der in der Regel zwei von drei Zweikämpfen gewinnt? Kann man so machen. Er fühlt sich aber auch in Situationen wohl, die dem HSV bekannter vorkommen. Im Schnitt klärt Mavraj fünf Bälle pro Spiel, Platz 5 in der Bundesliga.

Zu schön, um wahr zu sein?

Der geneigte Bundesliga-Skeptiker wird spätestens jetzt etwas näher an den Bildschirm gerückt sein und sich fragen: Wo ist der Haken? In der Tat klingt das alles zu perfekt und etwas HSV-untypisch. Mavrajs Defizite lassen sich recht schnell zusammenfassen. Es bleiben Zweifel an seiner Schnelligkeit, insbesondere bei gegnerischen Kontern wird der Albaner leicht überspielt und wirkt hölzern. Auch seine sehr starke Passquote blendet im ersten Moment. Seine meisten Pässe gehen zur Seite oder nach hinten, verhältnismäßig sichere Pässe. Den langen Ball nach vorne, ein bestimmendes Stilmittel im Hamburger Spielaufbau, sucht er nur 2,5 Mal pro Spiel. Hier wird er sich wohl umgewöhnen müssen, sodass seine Quote leiden wird.

Vor allem sind seine Werte dem Kölner System zu verdanken, deren Dreierkette inkl. defensiv-orientiertem Mittelfeld als besonders stabil galt. Seine Nebenmänner waren alle technisch beschlagen und unterstützten einander. In Hamburg wird er jedoch weder eine stabile Defensive noch technisch versierte Nebenmänner finden. Noch mehr Verantwortung wird also auf Mavraj zukommen, in der Hoffnung, dass er seine Abwehrmitstreiter im Klinsmann’schen Sinne jeden Tag ein Stück besser machen kann. Die wahre Aufgabe wartet aber auf ihn, sollte es nicht gut laufen. Obwohl er aus Köln eine mediale Geräuschkulisse gewohnt ist, weht im hohen Norden ein anderer (Gegen)Wind, insbesondere bei zu erwartenden schlechten Leistungen. Mit diesem Druck wird er umgehen müssen, wenn er die Abwehr wirklich stabiler gestalten möchte.

Mavraj als zentrales Puzzlestück

Mit Mavraj hat der HSV in jedem Fall einen Spieler gefunden, der als Abwehr-Rückgrat dienen kann. Ohne Probleme wird er Cleber und Spahic vergessen machen. Auch Gideon Jung hat das Nachsehen gegen den Albaner, dafür fehlt Jung schlicht das Bundesliga-Niveau in der Innenverteidigung. Ob Mavraj mit Johan Djourou in der Abwehrzentrale agieren wird, darf ebenso bezweifelt werden. Der Schweizer bleibt ein Mysterium bei den Hanseaten, der zwischen guten Leistungen und haarsträubenden Fehlern pendelt. Nicht ohne Grund sucht Heribert Bruchhagen noch nach zwei weiteren Verteidigern.

Die Verpflichtung des Kölner Abwehrspielers zeigt jedoch, dass sich einiges in der Abwehr verändern wird und muss. Es ist ein Transfer, der den Hamburgern so nicht zugetraut worden ist, der aber einen Fingerzeig nach oben darstellt. Mergim Mavraj wird die Abwehr verstärken, selbst wenn er nur einen Bruchteil der Leistung der Hinrunde abruft. Der HSV hat einen neuen, zentralen Baustein für eine bessere Zukunft verpflichtet, so viel steht fest. Weitere Bausteine müssen folgen. Aber wir sind sehr zuversichtlich, dass dies nicht die letzte Folge von „Bares für Rares: HSV-Edition“ geblieben ist. Wir sehen uns bald wieder!

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