Der Kapitän ist nun seit ein paar Wochen von Bord und etliche Namen hallten durch die Straßen der Dortmunder-Innenstadt. Die Personalie „Hummels“ schaffte es zweifelsohne zu polarisieren. Nun, rund 5 Wochen nach der offiziellen Bestätigung, beerbt ein Katalane den Abwehrchef, ganz wie es Transferkritiker schon in der vorangegangen Analyse vorausgesagt hat. Ex-Team-Kollegen wie Pique und Ter Stegen waren die ersten Gratulanten und sind sich sicher, dass der einen Hälfte der Bartra-Zwillinge eine goldene Zukunft bei der Borussia aus Dortmund bevorsteht.
Kulturschock als Grundstein
Sant Jaume dels Domenys: Hier nahm die Karriere von Marc Bartra Aragall seinen Lauf. Gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Eric begann er hier, 75 km von der Weltmetropole Barcelona entfernt, das Fußballspielen. Ein ruhiges Dorf, in dem er als Straßenfußballer zu gefallen wusste und früh in die Jugendakademie von Espanyol Barcelona aufgenommen wurde. Sein 12. Lebensjahr brachte eine entscheidende Wendung – für den leidenschaftlichen Barca Fan wurde „La Masia“, die rennomierte Jugendakademie vom FC Barcelona, zur Realität. Hier durchlief er sämtliche Jugendmannschaften bis er, im Alter von 19 Jahren, sein Debüt in der A-Mannschaft der Blaugrana feierte.
Die Konkurrenz in einer der Top-Mannschaften Europas war groß, die Meinungen der Fans gespalten. Jedoch waren sich alle sicher, dass der Schüler von Idol Carles Puyol eine große Zukunft vor sich hat. Eines Tages sollte er den Platz neben Pique einnehmen. Letztendlich kostete ihn gerade seine größte Stärke aber genau jene Chance. In Spanien nennt man ihn den „zweiten Piquenbauer“, weil seine Idee vom Spiel, der seines Landsmannes sehr ähnelt. So hat er gemeinsam mit seinem früheren Mentor und heutigem Berater, Puyol, den Weg nach Deutschland gesucht, um die fehlenden Schritte zur Spitze, rund 1200 km von der Heimat entfernt, alleine zu gehen.
Ein Hauch von Nostalgie – Zwischen Klassik und Moderne
Als Absolvent von La Masia, wurde Bartra mit der „Kunst des schönen Spiels“ großgezogen und somit sind seine Ballbeherrschung, Technik und sein Passspiel tadellos. Die Parallelen zu Pique greifen jedoch noch viel weiter: Seine Power-Dribblings in den leeren Raum hinein, vor allem bei tiefstehenden Gegnern, erinnern nur zu gut an das Spielverhalten von „Piquenbauer“. Genau wie sein härtester Konkurrent besitzt Bartra ein hervorragendes Timing bei Kopfbällen, das ideal für hochstehende Abwehrreihen geeignet ist, wie sie der BVB spielen lässt. Der Einfluss unter dem katalanischen Berserker, Puyol, macht sich ebenfalls deutlich bemerkbar. Bartras Spiel kennzeichnet ein aggressives, intensives Ausbrechen aus der Kette, um Gegenspieler in einen Zweikampf zu zwingen und eine entscheidende Drehung in Richtung Tor zu verhindern. Seine mentale Stärke und Emotionalität bieten genug Interpretationsspielraum, um Barcas Identifikationsfigur in ihm wiederzuerkennen.
Doch gerade das intensive Attackieren ist anfällig für Fehler. Bartra kennzeichnet einen Spielertyp, der von seiner Mannschaft aufgefangen werden muss und stellt seine Kameraden vor eine gruppentaktische Herausforderung. Das erfordert reibungslose Mechanismen, die seine oft direkten, überambitionierten Entscheidungen ausmerzen. Sein größtes Manko ist seine taktische Positionierung. Der spanische Rechtsfuß ist auf die rechte Seite begrenzt, denn er fühlt sich gerade hier sehr wohl und schließt nicht zwingend die Lücke auf der linken Innenverteidigerposition. Seine gewohnte Wirkungsstätte bekleidet allerdings „Form-Monster“ Sokratis.
Das System als Gelegenheit
Tuchels beliebtes 4-2-3-1-System spielt Bartra in die Karten. Der BVB agiert unter dem Neu-Trainer ähnlich wie die Bayern unter Pep Guardiola. Er teilt das Feld in Zonen auf, in denen durch rege Bewegung der Mannschaft Lücken gerissen werden, die, die Mitspieler nutzen sollen. Der intelligente Bartra ist das aus seiner Heimat gewohnt, vor allem den ballbesitz-orientierten Fußball, den Tuchel stark implementiert hat. Sein horizontales Passspiel kommt dem spielöffnenden Part der Außenverteidiger sehr zugute. Mit Weigl hat er den perfekten Mann vor sich, der zwischen den Linien arbeitet, das Mittelfeld mit der Abwehr verbindet und sein Aufbauspiel unterstützt. Seine Offensivläufe werden hier toleriert, da auch Hummels durch diese zu überzeugen wusste und vor allem bei tiefstehenden Gegnern immer wieder an Angriffen beteiligt war. Die hohe Verteidigungslinie und die defensivere Ausrichtung seines Innenverteidiger-Partners bieten ihm zusätzlich noch Freiheiten, die er bei Barca nicht hatte – eine Absicherung!
Stammplatz? Bartra trotzt den Spekulationen
Nach einer starken Spielrunde wird Sokratis als rechte Stütze der Innenverteidigung gesetzt sein. Tuchels Spielidee fordert allerdings daneben einen spielstarken Gegenpart, der sich um die Spieleröffnung und die strategische Ausrichtung kümmert. Neben Bartra warten hier Subotic, Bender und Ginter in den Startlöchern, wobei die beiden Letzteren auch auf der 6er-Position zum Einsatz kommen können. Spielstarke Alternativen fehlen also und somit ist Bartra der logische, konsequente Ersatz und legitime Hummels-Nachfolger. Den Spekulationen um Toprak zum Trotz lässt sich hier keine andere Schlussfolgerung ziehen. Toprak kann nur zum Thema werden, falls ernste Wechselabsichten von Sokratis auftauchen und sich Gerüchte, wie die um Atletico Madrid, verhärten. Andernfalls wird Ex-Barca-Akteur Bartra der taktische Grundpfeiler der neuen BVB-Abwehrkette, da eine theoretische Innenverteidigung aus Sokratis und Toprak dem Spielaufbau der Dortmunder schaden würde.
Hummels-Nachfolge geglückt – Zeit und Geduld als Schlüsselelemente
Alles in allem existieren grundlegende Unterschiede zwischen beiden Spielerparteien. Hummels war eine optimale Besetzung für den Spielaufbau auf der linken Innenverteidigerposition. Mit Bartra kommt ein Rechtsfuß, der ähnliche Qualitäten wie Hummels aufweist, doch diesen nicht vollständig ersetzen kann – dies wäre nach Lage des Marktes ziemlich unmöglich gewesen. Dennoch bringt der Spanier neue Qualitäten mit, wie eine höhere Schnelligkeit und Dynamik als sie der ehemalige Abwehrchef innehatte. Zudem wird seine größte Schwäche, das aggressive, ambitionierte Pressing gegen den Ball von Sokratis perfekt kompensiert. Ebenso scheute er kein Risiko, agiert offensiv wie defensiv sehr mutig und möchte stets selbst handeln – Motive eines zukünftigen Abwehrchefs!
Probleme können für den BVB bei der angeblich vorhandenen Ausstiegsklausel entstehen. Da man davon ausgehen kann, dass eine Rückholaktion nach Katalonien bei steigender Leistungskurve von seinem Berater Puyol forciert wird, muss man die Zeit sinnvoll und produktiv nutzen. Schlussendlich hat Zorc mit einer Ablösesumme von 8 Mio € für einen international erfahrenen Akteur, der die Champions League, mehrere Meisterschaften und spanische Pokale gewonnen hat, erneut ein feines Händchen bewiesen und den richtigen Schritt für beide Parteien gemacht. Benvinguts Bartra!