Wie sieht es in einem Spieler aus, der den Verein wechselt? Welche Herausforderungen stellen sich besonders jungen Spielern, wenn sie zu einem neuen Verein gehen, dafür vielleicht sogar ins Ausland? Und wie geht es langzeitverletzten Spielern, die mitansehen müssen, wie Mannschaftskollegen während der eigenen Verletzungspause den Stammplatz erobern? Dies und noch viel mehr kann der Sportpsychologe Dr. Sebastian Wolf erklären. Aus jahrelanger Betreuung von Profisportlern kann er viel Praxiserfahrung vorweisen und so einen Blick in die Köpfe der Spieler ermöglichen. Transferkritiker hat mit dem Sportpsychologen im Interview gesprochen.
Herr Dr. Wolf, bei einem Wechsel eines Fußballspielers stehen natürlich nicht nur viele sportliche, sondern auch viele private Veränderungen an. Was bedeutet es da z.B. für den Spieler, Familie und Freunde für längere Zeit nicht mehr sehen zu können?
Prinzipiell kommt es z.B. darauf an, wie alt der Spieler ist. Wichtig ist auch: Ist es der erste Wechsel und der erste neue Verein, der ansteht? Zudem kommt es auf die Persönlichkeit des Spielers an, also beispielsweise wie offen und extravertiert ein Sportler ist und wie stark er sich aktuell zur Familie oder zu Freunden verbunden fühlt. Insgesamt ist jedoch insbesondere der erste Wechsel ein großer Schritt. Man verlässt letztlich seine „Homebase“, die einem ein soziales Zugehörigkeitsgefühl gibt. Häufig sind Familie, Freunde und Heimatverein eine Art Ruhepol. Hier kann man sich zurückziehen, ist akzeptiert und anerkannt. Dieser Ruhepol dient auch immer der Stressregulation. Das ganze fällt natürlich in einem neuen Verein erstmal teilweise weg, was für viele Spieler schon eine Herausforderung bedeutet. Zusätzlich kommen neue soziale Vergleiche mit den neuen Mitspielern hinzu. Die Anerkennung, die man vorher daheim hatte, muss man sich im neuen Verein meist erst wieder erarbeiten. Das alles kann schwierig für einen Spieler werden, kann ihn aber auch puschen und motivieren. Denn es kann für ihn schließlich auch eine große Anerkennung sein, bei dem neuen Verein spielen zu dürfen, häufig sind Wechsel wichtige Schritte in der Entwicklung eines Profisportlers: neue Trainer, neue Methoden, neue Eindrücke, Konkurrenz, Lernen usw. Mental hängt vieles davon ab, wie ein Sportler mit den neuen Herausforderungen und Gegebenheiten umgehen kann.
Inwiefern kann dies alles die Leistungen des Spielers beeinflussen? Beispielsweise dann, wenn er zu viel über manche Sachen nachdenkt?
Jeder Sportler hat ein gewisses maximales Stressniveau, sozusagen eine Stressgrenze, die für ihn oder sie in Ordnung bzw. „noch machbar“ ist. Ich habe schon einige Spieler betreut, auch aus anderen Sportarten, die diesen Schritt gegangen sind. Sie sind z.B. in den Nationalkader aufgestiegen oder in einen Nachwuchs- oder Bundeskader. Dann steigt im Grunde immer das Stressniveau. Und dann ist die Frage: Hat ein Sportler bestimmte Bewältigungsstrategien, um mit dem zusätzlichen Herausforderungen umgehen zu können. Wie kann er sich anpassen? Wie kann er sich behaupten? Wie gut kann er sich selbst organisieren? Wie kann er seine Motivation und seinen Wille regulieren? Wie gut kann er ohne die fehlenden sozialen Kontakte von Familie und Freunden umgehen? Wenn ihm in dieser Situation bestimmte mentale Fähigkeiten fehlen (Selbstregulation, Anpassung usw.), dann steigt der persönliche „mentale Druck“. Dann kann es schon sein, dass es anfangs zu Leistungseinbrüchen kommt, was wir Psychologen auch „choking under pressure“ nennen. Neue Herausforderungen und evtl. auch hohe Erwartungen erhöhen den Druck im Training und natürlich auch im Wettkampf, was die Leistung negativ beeinflussen kann. Andererseits können die neuen Herausforderung auch positiv sein, zusätzliche Energie und Motivation freisetzen und den Sportler somit pushen, dass es zu neuen Entwicklungen (spielerisch und persönlich) und somit zu einer Leistungssteigerung im neuen Verein kommt.
Welchen Einfluss hat die Situation des Vereins und der Mannschaft auf den neu hinzugekommenen Spieler?
Es hängt natürlich viel davon ab, wie die dortige Situation ist. Wie ist z.B. die Anerkennung, wie der soziale Zusammenhalt, wie ist der Kontakt mit dem Trainer? Der Trainer spielt ohnehin für viele Spieler eine sehr große Rolle.
Wie vorteilhaft kann es dann auch für einen Spieler sein, bei seinem neuen Verein einen früheren Mitspieler vorzufinden?
Das kommt natürlich darauf an, wie der Kontakt zu dem Spieler war. Besteht eine Freundschaft? Gibt es eine große Konkurrenz zwischen den beiden? Sind der Zusammenhalt und die Kommunikation gut? Sind die Voraussetzungen gut, dann ist es für den neuen Spieler sicherlich positiv und eine Erleichterung, sich in ein neues Team zu integrieren. Wenn er allerdings ein direkter Konkurrent ist und auch der Kontakt vorher nicht gut war, kann das natürlich auch negative Auswirkungen haben.
Welche mentalen Herausforderungen erwarten Spieler, die aus ganz anderen Ländern oder gar von ganz anderen Kontinenten zu einem neuen Verein wechseln, beispielsweise aus Südamerika oder Afrika nach Europa?
Insgesamt ist es so, dass sich jedes Land oder Kontinent kulturell sehr stark unterscheidet. Für jeden Sportler, der von einem anderen Land bzw. aus einer anderen Kultur nach Europa oder auch speziell nach Deutschland wechselt, sind kulturelle Unterschiede immer eine große Herausforderung. Brasilianer beispielsweise sind oftmals kulturell so geprägt, dass sie sehr viele soziale Kontakte haben, sehr offen sind, eine große Lebensfreude und Spontaneität mitbringen. Häufig sind sie kreativer, lockerer und spontaner, wohingegen in Deutschland häufig auf Werte wie Gewissenhaftigkeit, Pünktlichkeit, Ordnung, Disziplin usw. Wert gelegt wird. Vielleicht sind deutsche oder europäische Sportler anfangs auch distanzierter, zurückgezogener oder abwartender gegenüber einem neuen Spieler. Natürlich sind diese Unterschiede nur Tendenzen und es gibt immer Ausnahmen, aber gewisse Tendenzen lassen sich häufig schon feststellen. Diese können dann zu „kulturellen Missverständnissen“ führen. Gerade im Sport spielt das natürlich eine große Rolle, wenn ausländische Sportler in Teams integriert werden und sofort ein „Teamzusammenhalt“ bestehen soll. So kann es zu Kommunikationsproblemen kommen, anderen Sichtweisen, Missverständnissen, unterschiedlichen Wahrnehmungen und Einschätzungen. Gleichzeitig können genau diese kulturellen Unterschiede ein Team auch bereichern, man denke nur an den Spielwitz und die Kreativität brasilianischer Fußballspieler.
Wie sieht es speziell bei Jugendspielern aus, die noch als Jugendliche in ein Fußballinternat weit weg von zu Hause wechseln, vielleicht sogar in einem anderen Land gelegen? Welche psychischen Herausforderungen stellen sich ihnen?
Ich betreue sehr viele Jugendspieler und häufig ist der Schritt „Ich werde jetzt wirklich Profi und konzentriere mich nur auf Leistungssport“ ein großes Thema. Eine der mentalen Herausforderungen ist, wie bereits erwähnt, das Verlassen des bisherigen sozialen Umfelds. Den Weg zu gehen, sich 100 % auf den Sport zu fokussieren, bedeutet häufig auch andere Bedürfnisse, wie Party, Freunde, sonstige Hobbys usw. hinten anzustellen. Der Jugendspieler muss sich wirklich voll auf den Leistungssport konzentrieren. Zusätzlich ist er in einem komplett anderen Umfeld, das heißt, er muss auch anpassungsfähig sein. Er muss sich an neue Trainer, an neue Trainingsmethoden und Leistungen anpassen und muss ein sehr professionelles Leben führen und „sich selbst“ organisieren. Dieser Schritt verlangt von Jugendspielern viel Selbstorganisation, Selbstbewusstsein und Selbstregulation und das in einem komplett neuen Umfeld, in welchem häufig andere Spieler sind, die genauso gut oder besser sind. Das alles macht den Wechsel zum Profisport zu einem besonders wichtigen Ereignis in der Karriere eines jungen Sportlers.
Wie verhält es sich bei einem Spieler, der für sehr viel Geld zu seinem neuen Verein geholt wurde, Beispiel Kevin de Bruyne zuletzt für 75 Millionen Euro zu Manchester City. Wie sehr kann so etwas Bürde oder auch Ansporn für den jeweiligen Spieler sein?
Leistungssport und Profisport haben immer, so auch wenn es um viel Geld geht, mit Erwartungen zu tun. Hinter Wechseln, Nominierungen, Honoraren usw. stecken immer auch Erwartungen von außen. Natürlich sind das dann auch Erwartungen, die man an sich selbst stellt. Und je höher ein gewisses Ziel ist, je höher ein Honorar oder je wichtiger der Wechsel ist, desto höher sind natürlich auch die persönlichen Erwartungen und die Erwartungen von außen. Und genau darum geht es häufig im Leistungssport und in der Sportpsychologie: Wie gehe ich mit meinen Erwartungen um, sodass sie mich positiv beeinflussen, sodass sie mich pushen und motivieren? Wie kann ich in Wettkampfsituationen diese hohen Erwartungen ausblenden? Wenn ich also für 75 Millionen Euro gewechselt bin und der Verein, der Manager, die Fans oder der Trainer die Erwartung hat, dass nun auch Ergebnisse gezeigt werden müssen, dann muss ich als Profisportler die Fähigkeiten haben, diese Erwartungen in einem Wettkampf ausblenden zu können. Im Wettkampf muss der Sportler sich immer zu 100 % auf das konzentrieren können, worauf es „in der jeweiligen Situation“ ankommt (Taktik, Gegnerbeobachtung, Pässe usw.) und Honorare, Erwartungen, Druck, Konsequenzen usw. müssen ausgeblendet sein.
Also hängt es ganz individuell davon ab, wie gut der Spieler damit umgehen kann?
Ganz plakativ könnte man das natürlich schon sagen: Äußere Erwartungen und hohe Ziele führen zu eigenen hohen Erwartungen. Dies erhöht den mentalen Druck. Dann geht es darum, mit diesen Erwartungen gut umzugehen. Im besten Fall motivieren Erwartungen, realistische Ziele werden gesetzt, man bereitet sich optimal und professionell auf Wettbewerbe vor und im Wettkampf ist man 100 % auf die Sache an sich fokussiert. Es kann aber eben auch zu mentalem Druck führen und dadurch zu einer starken Aufmerksamkeitsfokussierung auf Erwartungen und (negative) Konsequenzen. Dies kann dann leistungsmindernd sein und zur Bürde werden.
Sprechen wir über langzeitverletzte Spieler. Diese haben eh schon sehr damit zu kämpfen, dass sie nicht spielen können, sondern sich stattdessen durch Reha und Aufbautraining kämpfen müssen. Wie sehr kann es sie belasten, wenn sie sehen müssen, dass in ihrer Abwesenheit die Konkurrenz auf der eigenen Position z.B. durch Neuverpflichtungen noch einmal größer geworden ist?
Verletzungen sind immer ein Riesenthema für alle Leistungssportler. Es ist ein großes Thema, da es eine enorme Bedeutung hat, denn eine große Verletzung kann letztendlich das Karriereende bedeuten. Das ganze hängt wieder von vielen Faktoren ab: Was ist es für eine Verletzung, wie gut ist die medizinische Betreuung, wie hoch war das Niveau vor der Verletzung, welchen Stand hatte er im Team? Also wie entbehrlich oder unentbehrlich ist ein Sportler. Eine Rolle spielt auch das Alter des Spielers und in welchem Stadium seiner Karriere er sich schon befindet. Dann ist natürlich auch wichtig, wie gut der Ersatzspieler performt, also wie groß die Chancen sind, nach der Verletzung wieder ins Team integriert werden zu können. Ich habe einige verletzte Spieler in Betreuung gehabt, für die es nach einer Verletzung extrem schwer war, wieder an alte Leistungen anzuknüpfen bzw. eine optimale Motivation zu entwickeln. Wichtig ist es, dass der Spieler trotz allem Frust auch akzeptiert, dass eine Verletzung vorliegt. Gleichzeitig muss er professionell mit der Verletzung umgehen, sich Ruhe gönnen, Reha machen, am Ball bleiben, trotzdem mit auf der Bank sitzen und eine Balance finden zwischen auskurieren und „wieder aktiv werden“. Für viele Sportler ist es oft schwer zu akzeptieren, dass sie nach ihrer Rückkehr noch nicht sofort wieder auf ihrem alten Leistungsniveau sind. Manche wollen und machen „zu viel“, andere sind zu zögerlich und ängstlich. Aber generell muss sich der Spieler einerseits langsam herantasten und andererseits Gas geben, um das alte Level wieder zu erreichen.
Also da ist es auch oft schwer, die richtige Balance zu finden?
Ja, da ist es oft wirklich schwer, die Balance zu finden zwischen einerseits der Akzeptanz, dass man noch nicht wieder die volle Leistungsfähigkeit hat, aber andererseits auch nicht zu resignieren, sondern trotzdem konzentriert und professionell zu arbeiten. Besonders für jüngere Spieler ist das nicht immer einfach. Zuletzt hatte ich einen Nachwuchsspieler in Betreuung, der war fast ein dreiviertel Jahr lang verletzt und hat sich erst kurz zuvor entschieden, eine Profikarriere einzuschlagen. Nach der Verletzung hatte er unglaubliche Selbstwert- und Selbstbewusstseinsprobleme, weil er eben gemerkt hat, dass es mit seiner Fitness noch nicht wieder so gut läuft. Er hatte es schwer, wieder an seine alten Leistungen anzuknüpfen und war daher sehr niedergeschlagen und ist hoffnungslos geworden. Zu akzeptieren, dass nicht gleich alles wieder rund läuft, sondern vielleicht auch wieder ein bisschen länger braucht, ist ihm sehr schwer gefallen. Das ist ein Prozess, der häufig nach Verletzungen geschieht. Häufig spielen dabei auch soziale Vergleiche im Team eine Rolle, wenn man anfangs noch nicht das erwartete Leistungsniveau zeigt. Da hat dann auch der Trainer eine wichtige Funktion, indem er dem Spieler den Rücken stärkt und ihm die nötige Zeit gibt. Geschieht das nicht und der verletzte Spieler erhält auch sonst kaum Unterstützung aus dem Verein und findet selbst nicht zu alter Stärke und Selbstbewusstsein zurück, kann dies auch das Karriereende bedeuten.
Dr. Sebastian Wolf ist Sportpsychologe und Psychologischer Psychotherapeut und betreut seit mehreren Jahren Profisportler, Vereine, Verbände und Leistungszentren. Seine Website ist erreichbar unter:
www.sportpsychologie-wolf.de
Das Team von Transferkritiker.de bedankt sich sehr bei Dr. Wolf für das Interview und die vielen interessanten Einblicke.
Das Interview führte Sebastian Driever.