Indien ist ein Land, das stets exotisch und einzigartig auf Außenstehende wirkte, ein riesiger Staat, der immer noch fasziniert. Hier entstanden Weltreligionen wie der Buddhismus und der Hinduismus oder Lehren wie Yoga. Noch immer wirkt das Land von Spiritualität durchhaucht, auch wenn es sich inzwischen immer mehr industrialisiert und langsam einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Durch ein konstant hohes Bevölkerungswachstum leben außerdem schon knapp 1,3 Milliarden Menschen in der größten Demokratie der Welt, in wenigen Jahren könnte China als Nummer 1 der bevölkerungsreichsten Länder abgelöst werden. Was für die Einwohner gilt, ist für Indien allerdings im internationalen Sport noch längst nicht der Fall – hier hinkt man, abgesehen von Cricket und Hockey, z.T. noch extrem weit hinterher. Nur 26 Medaillen konnte das Land bisher bei Olympischen Sommerspielen erringen, davon aber zuletzt sechs 2012 in London. Im Fußball sieht es ähnlich trostlos aus, auch wenn sich allmählich etwas bewegt.
Erster Teil des Doppelsystems: Die I-League
2007 wurde die Indian Professional Football League als Nachfolger der seit 1996 betriebenen National Football League vom indischen Fußballverband AIFF (All India Football Federation) gegründet. Derzeit spielen hier elf Teams im Ligabetrieb gegeneinander, gleich zwei weniger als noch in der Saison zuvor. Die Mannschaften sind nicht gerade flächendeckend über Indien verteilt: Ganze sechs Mannschaften kommen von der indischen Westküste, vier aus dem Osten, der Bengaluru FC hingegen aus Bangalore im Süden. Aktueller Meister ist Mohun Bagan aus der ostindischen Metropole Kalkutta. Für den Club war es 2015 der erste Titel in der I-League, nachdem man schon Ende der 1990er Jahre drei Titel in der National Football League holen konnte. Rekordmeister der noch jungen I-League ist Dempo SC aus Goa mit drei Titeln, gefolgt vom Churchill Brothers SC (ebenfalls aus der Region Goa) mit zwei Titeln. Der Meister der I-League qualifiziert sich für die asiatische AFC Champions League, der Zweite für den AFC Cup, während der Tabellenletzte in die zweite Spielklasse absteigt. In jeder Saison könnten jedoch neu gegründete Clubs nach dem Modell der amerikanischen Expansion Teams hinzustoßen.
Die Liga neben der I-League: Die Indian Super League
Neben der I-League wurde nach mehrjähriger Planung 2014 schließlich die Indian Super League mit acht Mannschaften eingeführt. Die Teams fungieren hier als sogenannte Sport-Franchises, ähnlich wie in nordamerikanischen Profi-Sportligen. In der Liga gibt es keinen Auf- und Absteiger, von Oktober bis Dezember wird gespielt. Dabei spielen zunächst alle Teams in Hin- und Rückspiel gegeneinander, ehe die vier besten in Halbfinals aufeinandertreffen. Erster Meister im Dezember 2014 wurde Atlético de Kolkata aus Kalkutta. Alle Clubs der Super League müssen bestimmte Auflagen erfüllen: Neben sieben ausländischen Spielern muss beispielsweise ein sogenannter Marquee-Spieler, also einer mit internationaler Karriere, im Kader stehen. Von den sieben ausländischen Spielern darf das Franchise allerdings nur zwei direkt verpflichten, die weiteren werden in einem Draft zugelost. Von den acht Mannschaftstrainern ist kein einziger Inder, dafür stehen hier aber auch international Altbekannte an der Seitenlinie: Die Brasilianer Roberto Carlos und Zico oder der Italiener Marco Materazzi und der Franzose Nicolas Anelka coachen Teams aus Chennai, Delhi oder Mumbai. Mit der Indian Super League wird also versucht, dem Fußball in Indien mehr Glanz zu verleihen, auch wenn der Spielbetrieb nur knapp drei Monate läuft.
Der indische Fußball im internationalen Vergleich
Trotz aller Bemühungen steckt der indische Fußball derzeit immer noch in den Kinderschuhen. Immer noch haben verschiedene Vereine finanzielle Probleme, nicht selten werden Spielergehälter nur verzögert ausgezahlt. Regelmäßig tun sich auch der indische Meister und der indische Vizemeister der I-League in der AFC Champions League und dem AFC Cup schwer und scheiden meist früh aus. Kein Wunder also, dass die indische I-League daher schon in einem asiatischen Ranking der nationalen Ligen in Ostasien nur auf dem elften von zwölf Plätzen liegt, hinter Hongkong oder Myanmar und auch nur knapp vor Singapur. Auch die Nationalmannschaft macht es kaum besser: Noch nie nahm man an einer Weltmeisterschaft teil, nur dreimal an der Asienmeisterschaft, zuletzt aber 2011. In der aktuellen Qualifikation zur WM 2018 läuft es deshalb wie zu erwarten: Zwar gewann man in der ersten Quali-Runde gegen Nepal nach Hin- und Rückspiel 2:0, in der zweiten Runde gab es aber in drei Gruppenspielen bisher drei Niederlagen gegen den Oman, den Iran und selbst gegen die Auswahl des pazifischen US-Außengebietes Guam. Ein Grund dafür lässt sich schon in der I-League finden. Denn einerseits bestehen die Mannschaftskader fast nur aus Indern, andererseits findet sich z.B. unter den besten zehn Torschützen nur ein einziger Inder.
Auch Indien als Karriereherbst-Station internationaler Stars?
Was die I-League angeht, so trifft dies in keiner Weise zu. Hier spielen bis auf äußerst seltene Ausnahmen wirklich nur Kicker, die in Europa unbekannt sind. In der Indian Super League dagegen ist das schon etwas anders. Hier mischen aufgrund des Systems ein wenig mehr ausländische Spieler mit, so z.B. der Portugiese Hélder Postiga bei Atlético de Kolkata, als auch Robert Pires beim FC Goa oder Kostas Katsouranis beim FC Pune City. Außerdem agieren Roberto Carlos und Nicolas Anelka als Spielertrainer beim Delhi Dynamos FC bzw. Mumbai City FC. Dort ließ zuletzt auch Ex-Nationalspieler Manuel Friedrich bis Januar 2015 für ein paar Monate seine Karriere ausklingen. Zwar ist es für die Indian Super League aller Ehren wert, dass einige international bekannte Gesichter hier im Spielbetrieb mitwirken. Doch die Tatsache, dass diese Spieler im (Spät-)Herbst ihrer Karriere hier noch problemlos mithalten können zeigt auch, dass noch vieles zu tun ist.
Fazit
Der indische Fußball ist noch längst nicht so weit, wie er gerne sein würde. Einerseits gelingt es allmählich, ein wenig mehr Aufmerksamkeit für diesen Sport, gerade durch die Einführung der Indian Super League, zu erzeugen. Andererseits sind die Augen der Bevölkerung schon seit langem auf einen anderen Mannschaftssport gerichtet: Cricket. Dieser ist zweifelsohne indischer Nationalsport, hier werden Gehälter gezahlt, von denen arme indische Familien oft nur träumen können. Kaum verwunderlich also, dass viele indische Jungen viel lieber Cricket- als Fußballspieler werden wollen. So wird es auch schwierig, an der Basis des indischen Fußballs Veränderungen herbeizuführen. Weiterhin müsste die Indian Super League länger als nur von Oktober bis Dezember laufen, um noch mehr Zuschauerinteresse zu generieren oder den indischen Spielern die Chance zu geben, sich im Zusammenspiel mit den Ex-Stars zu verbessern. Vermutlich wird es also noch lange dauern, bis der Fußball in Indien nicht nur in einigen Metropolregionen populär sein wird, sondern auch auf dem Land. Erst dann kann wahrscheinlich, trotz 1,3 Milliarden Einwohnern, endgültig der Schritt heraus aus dem Status eines Fußball-Entwicklungslandes gemacht werden.