Mit dem Wechsel von Yannick Gerhardt verabschieden sich 13 Jahre Effzeh aus dem Rhein Energie-Stadion. „Als ich aus dem Geißbockheim raus bin, kamen noch mal alle Erinnerungen hoch. Die Jugendzeit, der Weg zum Profi. Ich habe mir die Plätze noch mal angeschaut, auf denen ich angefangen habe. Da hatte ich Tränen in den Augen“, so beschrieb Gerhardt seine letzten Augenblicke an alter Wirkungsstätte. Sportliche Emotionalität und Leidenschaft, die Wolfsburg dringend nötig hat. Wie die Rolle des jungen Ex-Kölners aussehen könnte und was es im Umkehrschluss für die Wölfe bedeutet – TK hat sich den Wechsel genauer angesehen.
Gerhardts schnörkelloser Weg an die Spitze
Der junge Jannick aus Würselen, aus dem Westen Kölns, war ein ganz normaler Junge. Früh fing das Gekicke in der Jugend des 1. FC Köln an. Nebenbei wurde dennoch intensiv Wert auf die Schule gelegt. Ein absoluter Musterknabe mit Abitur in der Hand und dem Profivertrag samt den Nike-Schuhen in der Tasche. Ein Beweis dafür, dass auch heute schon für die Zeit später vorgesorgt wird und etwas, das einen sympathischen Kontrast zum allgemeinen Vorurteil bildet, alle Fußballer könnten nicht mehr als geradeaus laufen und eine 410 Gramm schwere Lederpille über das weite Grün dreschen. Yannick stammt generell aus einer sehr fußballbegeisterten Familie. Seine kleine Schwester Anna ist ebenfalls Profi beim Effzeh, allerdings natürlich in der Damenabteilung und zugleich Junioren-Nationalspielerin des DFB – Das Talent muss wohl in der Familie liegen. Als Eigengewächs wird er mit breiter Brust zur Saison 2013/2014 in den Profikader aufgenommen. In seiner ersten Saison bei den Profis gewann er unter Peter Stöger sofort den Zweitliga-Meistertitel und schaffte den direkten Aufstieg ins deutsche Fußballoberhaus.
Mit ihm kam ohnehin ein Mann, der es schon in der B- und A-Jugend verstand, Meister zu werden. Gerhardt ist als aufopferungsvoller Spieler bekannt, der mit Herzblut und vollem Einsatz, Spiel für Spiel, bei der Sache ist. Ähnlich wie bei Didavi, werden allerdings auch bei ihm böse Stimmen laut, doch Gerhardt weiß damit umzugehen: „Das ist doch immer so bei einem Wechsel. Die Beleidigungen konnte ich nachvollziehen, es hat sich im Rahmen gehalten“, sagte er der Sportbild in Bezug auf die zahlreichen Social-Media-Reaktionen. Er begründete es durch eine fehlende Objektivität aufgrund der „Fan-Brille“, die völlig normal sei und betonte zudem, dass sich im Gegenzug eine Vielzahl von Fans bei ihm für die 13 Jahre beim Effzeh bedankt hat. Nun bricht für ihn ein neues Kapital an. Eine Überschrift seiner Zeit in grün-weiß wird sich in ein paar Jahren selbst schreiben. Einleiten wird diese aber der Marschbefehl in Richtung Europa, für den auch Gerhardt alles geben wird, in altgewohnter Manier.
Yannick Gerhardt – Der Köder im Haifischbecken?
Einige der Kritiker seines Wechsels vom Rhein an die Aller betonen, es sei eine Fehlentscheidung, hinsichtlich der dichten Mittelfeldsituation. „Rotation wird aufgrund des fehlenden internationalen Geschäfts ausbleiben“, werden sie zitiert. Im Punkt der Rotation ist ihnen zumindest nicht ganz zuzustimmen. Hecking erwartet Leistung und weiß um seine Spieler. So strikt wie er Spieler bei schlechter Leistung austauscht, so strategisch schont er diese auch. Feststeht, dass aufgrund der ausbleibenden, intensiven Doppelbelastung die Fluktuation in der Startelf nicht mehr so groß sein wird, wie noch in der vergangenen Spielzeit. Hinzukommt, dass dem Vfl Wolfsburg noch lange Wochen in Sachen Kaderplanung bevorstehen und somit auch mögliche Abgänge. Eine Frage die sich immer wieder stellt: Was ist mit Draxler und Gustavo? Sind sie zu halten und wenn ja, zu welchem Preis? Das verpassen der europäischen Plätze zehrt an den Nerven der Verantwortlichen und manövriert Klaus Allofs zunehmend in einen gefühlten 48-Stunden-Tag.
Doch genau hier liegt das Potenzial von Gerhardts Person. Seine Flexibilität im Mittelfeld macht ihn zu einem Allzweckwerkzeug. Ob auf der Sechs, Acht oder Zehn, er ist in der Lage alles zu spielen – doch wird Hecking, um seine primären Stärken auf der offensiveren Sechserposition beziehungsweise seinem hervorragendem Spiel im Halbraum wissen. Mit seinen 22 Jahren besitzt er ein sehr gutes Antizipationsvermögen, das ihm Weitsicht und eine intelligente Zonenbewegung ermöglicht. Gerade durch sein solides Passspiel und den ballbesitzorientierten Fußball, den die Wölfe praktizieren, eignet er sich prima für eine etwas defensivere Position, um das Spiel zu strukturieren und temperieren.
Gerade junge Spieler wie er bringen die nötige Motivation mit, ein Spiel impulsiv und agil nach vorne zu tragen. In der vergangen Saison waren die Grün-Weißen eine Wundertüte – Zwischen Explosivität und Trägheit. Diese Inkonstanz gilt es nun im Team zu beheben und genau hier kommen frische, willige Akteure, wie er, ins Spiel, um Zeichen zu setzen und die Ziele des Klubs spürbar zu machen.
Leider hat er, auch seinem Alter geschuldet, ein Laster, das es gilt in den Griff zu bekommen: Konzentration. Zu oft lässt er diese vermissen und dadurch verliert er seinen Gegner gerne Mal aus den Augen. Eine Schwäche, die er sich auf dem Niveau, auf dem der Vfl agieren möchte und der Position, die für ihn angedacht ist, nicht leisten kann. Hinzu kommt Hektik, die er oftmals selbst provoziert. Deutlich mehr Ruhe wird er seinem Spiel hinzufügen müssen, damit er die Strippen nicht achtlos aus der Hand gibt.
Eine bei den Wölfen häufig zu kurz kommende Eigenschaft bringt er dafür aber, ähnlich wie Didavi, noch mit. Gerhardt ist ein feiner Standardschütze und verfügt über einen, in der Wolfsburger Truppe raren, linken Fuß. Vor allem falls Ricardo Rodriguez den Verein tatsächlich noch verlassen sollte, wird Gerhardt auch hier eine wichtige Rolle spielen können.
Mehr als nur ein Konkurrenzanheizer
Da Hecking gerne mit einer Doppelsechs agieren lässt, wäre er der perfekte Partner für Guilavogui und Gustavo, wobei Letzterer noch als möglicher Abgang gehandelt wird. Wolfsburg praktiziert das ballbesitzbetonte Spiel als Hybrid, sprich in enger Verbundenheit zum schnellen Umschaltspiel. Hier wird sein stärkster Konkurrent Maxi Arnold werden, der eine super Saison hinter sich hat. Auch er gilt als ähnlicher Spielertyp und wird mit Gerhardt um Einsatzzeit kämpfen. Vorstellbar ist hier sogar, dass Hecking gegen tiefstehende, unterlegene Gegner auch mit einer spielstärkeren Doppel-Sechs, oder Doppel-Acht agieren lässt, womit Arnold und Gerhardt ein äußerst interessantes Duo bilden würden. Didavi wird in diesem Kontext keine Rolle spielen, da, wenn man davon ausgehen darf, dass Hecking ihn ähnlich wie der Vfb einsetzt, eher die offensive Schaltzentrale oder eine hängende Spitze für ihn vorgesehen ist – womöglich sogar eine Flügelposition. Mit Ascues ist ein vielversprechendes Talent im Kader der A-Mannschaft, das unter Dieter Hecking allerdings wenig bis gar keine Chance erhalten wird.
Schlussendlich ist Gerhardt selbst seines Glückes Schmied. Nur durch gute, ambitionierte Leistungen wird er seinen Transfer rechtfertigen und eine zentrale Rolle auf dem steinigen Wolfsburger Weg sein können. Ab hier gilt es seinen reinen Karriereverlauf sauber zu halten und nicht im Druck und den Erwartungen an das Team zu versinken. Doch die Fans dürfen sich auf den jungen Neuzugang freuen, der mit Dieter Hecking einen Befürworter seines Spielstils hinter sich stehen hat und überzeugt von ihm ist: „Er bringt alles mit, was heute von Spielern auf seiner Stamm-Position im zentralen Mittelfeld gefordert wird. Yannick ist passsicher, geht ein hohes Tempo und ist sehr dynamisch.“ Da wollen wir dem guten Dieter doch nicht widersprechen und dem 15-Millionen-Euro-Mann viel Erfolg bei seiner neuen Aufgabe wünschen!