Comeback mit 39 Jahren – Claudio Pizarros Verpflichtung polarisiert die Fans des 1.FC Köln wie kaum ein anderer Transfer in den letzten Jahren. In den sozialen Medien wird der Routinier wahlweise aufgrund seiner unbestrittenen Abschlussqualitäten als lang ersehnte Verstärkung der Kölner Offensive oder als Rückfall in schlimmste Overath’sche Zeiten empfunden. Ein genauerer Blick auf seine Rückkehr ins Profigeschäft zeigt jedoch: eine klare Einordnung des Transfers fällt schwierig.
Die Unterschrift des Peruaners beim 1.FC Köln kam in zweierlei Hinsicht überraschend. Zum einen, weil der Stürmer damit nach halbjähriger Abstinenz und einigen Waldläufen mit 39 Jahren sein Comeback in der Ersten Bundesliga feiert, womit nach seinem Vertragsende bei Werder Bremen kaum noch jemand gerechnet hatte. Zum anderen, weil der Effzeh mit seiner Verpflichtung scheinbar einen Schritt in längst vergangene Zeiten vollzieht: Jörg Schmadtke gesteht sich und der Öffentlichkeit mit der Rückholaktion explizit eine verfehlte Transferpolitik im Sommer ein und versucht diese mit der Reaktivierung eines zweifelsohne begnadeten, aber weit über seinem Zenit befindlichen Starspielers irgendwie noch zu retten. Man sieht wahrlich Kölns Ex-Manager begeistert in die Hände klatschen: „Klasse! Jetzt noch Maniche verpflichten und der Karren rollt wieder!“. Vermutlich in erster Linie jedoch gegen die Wand. Oder?
Transfer mit Doppelfunktion
Nicht ganz. Die Verpflichtung Pizarros hat eine Doppelfunktion und sollte daher auch auf zwei Ebenen betrachtet werden – einer sportlichen und einer psychologischen. Auf sportlicher Ebene ist das Urteil relativ eindeutig: Die derzeitige Situation des Effzeh in der Liga ist alamierend. Nicht nur aufgrund der Punktausbeute, auch aufgrund des teilweise erschreckenden Auftretens der Mannschaft in den ersten Spielen (die unglückliche Niederlage gegen RB Leipzig einmal ausgenommen). Insbesondere im Spiel zwischen den gegnerischen Linien fehlte es der Kölner Offensive in den ersten Saisonspielen komplett an Dynamik, Kreativität und Überraschungsmomenten. Zuletzt wirkte Cordobas Sturmpartner Serou Guirassy in der ersten Halbzeit des Spiels gegen Roter Stern Belgrad derart behäbig und statisch, dass sich selbst Peter Stöger zu einer, für seine Verhältnisse relativ deutlichen Kritik an der Spielweise des Franzosen hinreißen ließ.
„…du steihs he de janze Zick eröm.“
Es ist mehr als fraglich, ob nun die Verpflichtung von Claudio Pizarro diese Schwäche beheben kann. Der Peruaner galt schon in seinen Glanzzeiten nicht gerade als Laufwunder, das mit seinen Gegenspieler 90 Minuten lang den Usain Bolt machen konnte. Pizarro ist vielmehr genau das, was sich im Lexikon unter „Schlitzohr“ finden lässt: Ein abgezockter Mittelstürmer mit starker Ballbehandlung, der Laufleistung eines Toni Polsters im Sommerurlaub und einer überragenden Abschlussqualität, mit der er als idealer Zielspieler in der Box fungieren kann. Blöd nur, dass dies dem FC erst einmal nicht viel weiterhelfen wird. Sicherlich – einen Spielertypen wie Pizarro gab es bislang noch nicht im Kölner Kader. Doch hätte es ihn gegeben, er wäre im Kölner Sturmzentrum wohl ein Fall für Brot für die Welt gewesen und aufgrund fehlender Zuspiele durch die Mitspieler jämmerlich verhungert. Die Kölner weisen im ligaweiten Vergleich eine desaströse Zahl an Großchancen auf, konnten insgesamt nur 22 Torschüsse für sich verbuchen. Zieht man Distanzschüsse und jene Fehlpässe ab, die statistisch als Schüsse gewertet werden, bleibt gerade einmal eine Handvoll Schüsse in Tornähe übrig. Ein unterirdischer Wert, an dem bestenfalls ein überragender Mittelstürmer in der Form seines Lebens etwas ändern könnte, der reihenweise Tore aus dem Nichts erzielt – doch diesen ließ man im Sommer nach China ziehen.
Gewinner? Cordoba!
Es macht daher auch keinen Sinn, Kölns Rekordeinkauf Jhon Cordoba die Hauptschuld an der Tormisere der Domstädter zu geben – wenngleich sich im Spiel des Kolumbianers immer wieder eine 17 Millionen Tonnen schwere Last bemerkbar zu machen scheint. So agiert der ehemalige Mainzer stets engagiert und motiviert, trifft allerdings nach Einschätzung von Trainer Stöger im Eifer des Gefechts „nicht immer die richtige Entscheidung“ und wirkt mitunter gar völlig verunsichert, wenn er – wie gegen Leipzig – eine hundertprozentige Torchance vergleichsweise erbärmlich liegen lässt. Die Verpflichtung Pizarros könnte sich nun – und dies wäre die psychologische Komponente – als großen Gewinn für den bulligen Stürmer entpuppen, lenkt sie doch die mediale Aufmerksamkeit und Erwartungshaltung etwas von ihm ab, ohne dass Cordoba ernsthaft um seinen Stammplatz fürchten müsste. Denn dass der 39-jährige nach einem halben Jahr Spielpause und ein paar Dutzend Waldläufen eine ernsthafte Konkurrenz für den 17-Millionen-Mann Cordoba darstellt, glaubt wohl nicht einmal das euphorischste Funkenmariechen im Kölschrausch. Zugleich könnte sich Pizarro mit seiner Erfahrung und Ausstrahlung als eine Art größerer Bruder für den lediglich spanisch sprechenden 24-jährigen entpuppen – oder sogar als Vaterfigur, wenn man denn die Maßstäbe des RTLII-Nachmittagsprogramms zu Grunde legen möchte.
Nackenschlag für Guirassy
Ein anderer, junger Stürmer im FC-Dress dürfte die Ankunft des Peruaners hingegen weitaus weniger enthusiastisch betrachten: Sehrou Guirassy hatte sich nach seiner Seuchensaison ambitionierte 15 Saisontore als Zielmarke gesetzt, lieferte zu Saisonbeginn eher durchwachsene Kurzauftritte in der Liga und stand bei seinem Startelfdebut gegen Roter Stern Belgrad komplett neben sich. Dem sensiblen Franzose wird der anstehende Verlust seiner Rolle als Nummer Zwei hinter Cordoba zusetzen, im Gegensatz zu den gelernter Mittelstürmern Zoller und Osako scheint für ihn keine alternative Position im FC-Kader vorgesehen zu sein. Ob er bei den Kölner noch den Durchbruch schaffen wird, ist derzeit wohl fraglicher denn je. Zumal sich Pizarro kaum mit einer Rolle als Gute-Laune-Bär begnügen wird, der sich im Training bereitwillig als Ergänzungspfosten zur Verfügung stellt. Der Peruaner hat nach wie vor hohe Ziele, will mit Peru die WM-Qualifikation schaffen (entscheidendes Spiel gegen Neuseeland) und nächstes Jahr in Russland für die Inkasöhne auflaufen. Vor allem aber will er wohl einigen noch etwas beweisen. Den Bremern, die seinen auslaufenden Vertrag vergangenen Sommer nicht verlängert hatten. All den Kritikern, die ihm nach sechsmonatiger Abstinenz den Sprung in den deutschen Profifussball nicht mehr zutrauen. Und vermutlich sich selbst. Dass er trotz seines fortgeschrittenen Alters noch immer der Spieler ist, der in entscheidenden Momenten den Unterschied ausmachen kann. Dafür bedarf es freilich einer grundlegenden Reaktivierung des Kölner Offensivspiels. Wenn es Peter Stöger gelingt, die zu Saisonbeginn formschwachen Osako und Bittencourt wieder zu stabilisieren, könnte Pizarro in jene Szenen gebracht werden, für die er einst ligaweit gefürchtet wurde. Jörg Schmadtke würde es mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Und Michael Meier wohl auch.