In seiner Heimat gilt er als eines der größten Offensivtalente, die der polnische Fußball in den letzten Jahren hervorgebracht hat – bei Leicester City galt er zuletzt bestenfalls als Auslaufmodell. Nun hat Bartosz Kapustka den Absprung in den Breisgau gewagt und könnte in Freiburgs Trainer Christian Streich jene Art von Mentor finden, der ihm den Spaß am Fußball zurückgibt. Und ihm vielleicht den entscheidenden Karriereschub verleiht.
Es war eine Saison zum Vergessen für Bartosz Kapustka: Gerade hatte er sich in den Kader der polnischen Nationalmannschaft gespielt, war bei der Europameisterschaft in Frankreich bis ins Viertelfinale vorgedrungen und hatte den Sprung zu Leicester City gewagt. Jenen Sprung, der ihm endgültig den internationalen Durchbruch verschaffen sollte. Bei Leicester City, diesem englischen Überraschungsmeister, bei dem ihm alles so herrlich anders erschien als bei anderen, englischen Topvereinen. Ruhiger, kleiner, bedächtiger. Ohne Yellow-Press, Sex-Skandale oder einem Trainer, der einer Reporterin Prügel androht. Stattdessen eine überschaubare Großstadt mit einer Fanszene, die vor lauter Dankbarkeit über den ersten Meistertitel seit der Entdeckung des Feuers ihren Helden wohl sogar einen sofortigen Abstieg aus der Premier League verziehen hätte. Ein ideales Umfeld, um sich als junger Spieler zu entwickeln und Fuß zu fassen in der milliardenschweren Premier League.
Erstens kommt es anders…
Doch es kam anders. Ausgelaugt von der kräftezehrenden Europameisterschaft stieg Kapustka erst zwei Wochen vor Saisonstart in die Vorbereitung ein, kam zu Saisonbeginn an den gesetzten Ahmed Musa, Marc Albrighton oder Riyad Mahrez nicht vorbei. Genau genommen kam er noch nicht einmal in ihre die Nähe, geschweige denn zu einem Kaderplatz. Nach der Niederlage im Hinspiel des Champions-League-Achtelfinales gegen Sevilla wurde schließlich Trainer Claudio Ranieri entlassen, der Kapustka zunächst noch Hoffnungen auf einen baldigen Durchbruch gemacht und ihn zu Jahresbeginn im FA-Cup eingesetzt hatte. Im polnischen Nationalspieler reifte zu diesem Zeitpunkt wohl die Erkenntnis, dass auch in Leicester nicht alles so anders ist, wie er es sich vielleicht erhofft hatte. Und falls er bis dato mit den Mechanismen des Profigeschäfts immer noch nicht völlig vertraut gewesen sein sollte, so bot ihm die anschließende Verbannung auf die Bank in den restlichen Monaten ausreichend Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Weitere Pflichtspieleinsätze bis Saisonende? Fehlanzeige. Ein verlorenes Jahr.
…und zweitens über rechts wie links
Was des einen Leid, ist des anderen Freud: So frustrierend das Reservistendasein für Kapustka in Leicester auch gewesen sein mag – die faktische Karriereauszeit von einem Jahr bot dem SC Freiburg überhaupt erst die Möglichkeit, einen Spieler seines Kalibers unter Vertrag nehmen zu können. Diesen dribbelstarken Offensivallrounder, der in seiner Zeit in Krakau hin und wieder an diesen holländischen Bayernspieler erinnerte, zu dessen Spezialitäten es gehört, von der rechten Seite kommend den Ball mit dem linken Fuß in den Winkel zu zwirbeln. Der Vergleich ist natürlich nur bedingt gerechtfertigt – denn Kapustka kann es auch mit seinem rechten Fuß. Zumindest konnte er auf diese Weise in der ersten, polnischen Liga, der Ekstraklasa, gleich eine ganze Palette von Treffern für sich verbuchen. Nun ist die Ekstraklasa nicht die Bundesliga und ein fetter Hamster noch lange kein glückliches Bioschwein. Doch mit seinem dynamischen Spielstil, dem explosiven Antritt, dem Zug von der Außenbahn ins Zentrum, sowie seiner kompletten Physis, seiner athletischen Statur, dem Laufstil mitsamt den weit umherschleudernden Armen, zeigt Kapustka auch sonst gewisse Ähnlichkeit mit Arjen Robben. Ein Hochgeschwindigkeitsfußballer mit einer begnadeten Technik, der für sein Alter eine bemerkenswerte, körperliche Reife mit sich bringt und immer etwas arrogant wirkt, wenn er mit einer aufreizenden Lässigkeit den Ball aus 18 Meter mit der Innenseite Richtung Tor schlenzt.
Wo, wo, wo – wo ist Kapustka?
Fähigkeiten, die auch den Verantwortlichen im Breisgau nicht verborgen geblieben sind. „Technisch sehr versiert“ charakterisiert Freiburgs Sportchef Jochen Saier den Neuzugang aus der Premier League, bei dem es nun darum gehe, dass er seine „Talente wieder auf den Platz“ bekomme. Beim SC Freiburg könnte der Pole, dem von allen Seiten ein astreiner Charakter bescheinigt wird, die idealen Voraussetzungen finden, um im Profifußball wieder Fuß zu fassen. So gilt Christian Streich als großer Freund von Spielern, die einerseits variabel einsetzbar sind, andererseits aber auch nicht gleich das Mobiliar in der Geschäftsstelle zertrümmern, wenn sie vom Trainer mal in der 78.Minute ausgewechselt werden. Dafür sieht es ihnen der Südbadener dann auch mal nach, wenn Kraft und Konzentration auf dem Platz nachlassen und die jugendliche Leichtsinnigkeit taktische und technische Fehler auf dem Platz begünstigt. Für einen fußballerischen Feingeist wie Kapustka ein entscheidender Faktor, denn zu häufig gönnt sich der Pole auf dem Platz noch schöpferische Pausen, vernachlässigt die defensive Disziplin oder ist für Mitspieler wie Zuschauer eine Zeit lang kaum noch auffindbar. Eine Verhalten, das vor einiger Zeit auch der nach Mönchengladbach gewechselte Vincenzo Grifo an der Tag legte und das insbesondere dann zu Tage trat, wenn die Freiburger im 4-4-2 mit einer Doppel 6 auftraten. In einem System mit Dreierkette mag es für offensive Halbfeldspieler oder eine hängende Spitze hin und wieder noch möglich sein, sich der defensiven Arbeit ein Stück weit zu entziehen. Bei zwei überlappenden Viererketten ist dies kaum möglich, ohne eine entsprechende Kettenreaktion auszulösen. Streich wusste dies natürlich – und er wusste auch, wie er den Deutsch-Italiener anpacken musste, um mit ihm die entscheidenden Entwicklungsschritte zu gehen. In der vergangenen Saison gehörte Grifo schließlich zu den besten und effektivsten Flügelspielern der Bundesliga, auch wenn ihm hin und wieder die Konstanz etwas abhanden kam.
Willkommen im Schwarzwälder Nachwuchsidyll
Um im Breisgau auf Anhieb Fuß zu fassen wird Kapustka auch zugute kommen, dass durch die Abgänge des laufstarken Maximilian Philipps und eben jenes Vincenzo Grifos eine zentrale Lücke im offensiven Mannschaftsgefüge entstanden ist. Beide Spieler zeichneten in der vergangenen Bundesligasaison für starke 30 Scorerpunkte verantwortlich. Zweifelsohne für die kommende Saison eine gewaltige Lücke, die von Spielern wie Janik Harberer oder Florian Niederlechner nicht alleine wird geschlossen werden können. Insbesondere auf den offensiven Außenbahnen fehlt es den Freiburgern derzeit schlichtweg noch an Qualität. Die Erwartungshaltung an Kapustka, der auf denselben Positionen beheimatet ist wie die beiden Abgänge, ist dementsprechend hoch. Doch was andernorts zu einer lähmenden Drucksituation für einen jungen Spieler führen dürfte, könnte den jungen Polen zu einem sprunghaften Durchbruch führen. Wo sonst verzeiht das Publikum einem 20-jährigem Neuzugang einen schwachen Auftritt derart nachsichtig wie in Freiburg? Wo sonst wird Kapustka einen derartigen Rückhalt durch den Trainerstab vorfinden, wie unter dem geradezu väterlich-fürsorglichen Christian Streich? Im Schwarzwald könnte Kapustka jenes fußballerische Idyll vorfinden, dass er sich in Leicester erhofft hatte. Und die Freiburger Verantwortlichen davon überzeugen, die vereinbarte Kaufoption in Höhe von geschätzten fünf Millionen Euro zu ziehen. Sofern die Entwicklung Kapustkas auch nur ansatzweise die hier prognostizierte Entwicklung nehmen wird, wäre dies zweifelsohne als echter Transfercoup zu werten.