Arnheim ist ein verschlafenes Städtchen an diesem Sonntag, kurz vor Ende der Transferperiode. Die Sonnenstrahlen scheinen auf die Bänke der Cafes der Innenstadt und ein paar vereinzelte schwarz-gelb gekleidete Anhänger von Vitesse Arnheim trinken gemütlich ein Bierchen in der 150.000-Seelen-Stadt. Eine entspannte Langsamkeit, die so konträr zu dieser besonderen Entwicklung dieses Vereines in den vergangenen Jahren steht. Vitesse, auf deutsch „Schnelligkeit“, sieht man hingegen zirka 3,5 km entfernt am Gelredome, der Heimat der Anhänger vom ortsansässigeN Traditionsklub Vitesse Arnheim, wo sich viele Fans in diesem Einkaufscenter-ähnlichen Stadion zu dem Spiel gegen den Provinzverein SV Cambuur versammelt haben. Auf den ersten Blick ungewöhnlich und doch ist eine sportliche Entwicklung und Attraktivität in der Hauptstadt des Gelderlandes eingetreten, die maßgeblich durch die Kooperation zum FC Chelsea und den geliehenen Spielern zusammenhängt, die im Fanlager und landesweit eher zwiespältig betrachtet wird.
Geschichte und Gegenwart
Vitesse Arnheim wurde 1892 gegründet und nahm in den Folgejahren farbtechnisch die gleiche Entwicklung wie Borussia Dortmund, da man nach weiß-blauen Jerseys auf die heute landesweit bekannten schwarz-gelben Längststreifen umstieg. Zunächst war der Verein beinahe komplett auf den Cricket-Sport ausgerichtet, doch bald bildete sich zum Beginn des 20.Jahrhunderts eine Fußballabteilung, die zuerst nur Freundschaftsspiele beschritt, dann aber jahrzehntelang zwischen Erst-und Zweitklassigkeit pendelte. Zum Start des heute bekannten niederländischen Ligasystems der KNVB war man aufgrund großer finanziellen Anstrengungen Gründungsmitglied, doch konnte man nicht dauerhaft Mitglied der Eredivisie bleiben, sodass sich Jahre der Konstanz erst Ende der 80er Jahre ergaben. In den 90er Jahren war man mit Toptorjäger Machlas dann ständig unter den Topteams in der Niederlande, doch endete dieser Höhenflug abrupt, nachdem Präsident Aalbers durch dubiose Geschäfte einen Verein voller Schulden hinterließ.
2010 kam es dann zu einer spektakulären Neuerung und dem Ende des „FC Hollywood am Rhein“, dessen Name der Boulevard dem Verein aufgrund der häufigen negativen Medienpräsenz vergab und der ehemalige georgische Spieler Merab Jordania erwarb den Verein als erster ausländischer Investor der Ligageschichte. Ein Fall der landesweit für Schlagzeilen sorgte, da nun prompt Champions League-Teilnahmen und Topspieler versprochen wurden. Dem Versprechen sollten Taten folgen und kurz darauf entstand die Kooperation zum FC Chelsea, sodass fortan viele Chelsea-Jugendspieler wie van Aanholt, Traore und Matic nach Arnheim ausgeliehen wurden. Yves Thijs, Vollblutfan seit Kindestagen, berichtet mit einem Mix aus schelmischen Grinsen und Verachtung, dass zwar nun endlich mal Spieler im Gelredrome spielen, die mehr als geradeaus laufen können, doch auch die Identifikation mit den wahren Werten wirklich verloren geht. Der Spagat ist schmal, der Übergang vom Traditionsverein in die Hände eines ausländischen Investors und seinen Ideen, sah man auch bei deutschen Vereinen wie 1860 nicht umproblematisch.
Das Spiel gegen Cambuur läuft und man merkt die Qualität der Chelsea-Importe an, sodass man ungefährdet 4:1 gewinnt. Fünf Jugendspieler vom FC Chelsea spielen seit dieser Saison in Arnheim, der zentrale Mittelfeldspieler Lewis Baker und der brasilianische Nathan stechen dabei mit Toren und Spielintelligenz gegen den doch limitierten Gegner aus Cambuur heraus. Nach dem Schlusspfiffe feiern die Spieler ausgelassen mit den Fans und doch wird man den Eindruck nicht los, dass diese Aufgabe nur ein Sprungbrett für viele Spieler darstellt. Ein Sprungbrett und ein Weg, wie ihn bereits Makaay, Bony, aber auch die vielen erfolgreichen Leihgeschäfte des FC Chelsea wie zum Beispiel Matic, Kakuta und Atsu beweisen. Der 18-jährige Vitesse-Angreifer Issaih Brown berichtet mit funkelnden Augen von Idolen wie Didier Drogba, aber auch dem Realismus, dass es für seine Entwicklung besser gewesen ist nach Arnheim auf Leihbasis zu wechseln, um gut gerüstet wiederzukommen. Aber Arnheim als neue, langfristige fußballerische Heimat sieht auch er nicht wirklich.
Das Modell Chelsea – moralisch vertretbar?
Vitesse Arnheim agierte als Vorreiter des Farmteams für englische Vereine, da nun auch VVV Venlo mit West Ham und Roda Kerkrade mit Tottenham neue attraktive Partner gewinnen, um das Niveau ihrer Mannschaft zu erhöhen und dabei den englischen Teams ein Vorkaufsrecht für den englischen Markt einräumen, wie beispielsweise bei dem Wechsel von van Ginkel nach England bereits geschehen. Generell ein interessanter Ansatz, den man aus Amerika kennt und doch schwingen einige Nachteile und Bedenken mit. Als Merab Jordania den Verein an den russischen Geschäftsmann Tschigrinski verkaufte, beklagte Jordania öffentlich, dass eine Champions League-Teilnahme niemals möglich wäre, da der FC Chelsea dies vertraglich verbieten lässt, um mögliche sportliche Konsequenzen der Vetternwirtschaft durch die FIFA zu vermeiden. Ein anonym bleibender Jugendtrainer berichtet von den geschäftlichen und privaten Verbindungen der Vereinsspitze zu Abramowitsch und dass bereits 2010 der damalige Präsident Jordania nur ein Briefkastenchef war, da man schon damals unter dem Einfluss der Blues stand. Außerdem berichtet der Trainer, dass auch in die Aufstellung hineingeredet wird, sodass Chelsea-Talente eine besondere Lobby und Spieleinsatzklauseln genießen. Ein weiterer Kritikpunkt, der häufig im Fanlager genannt wird, ist die Form der modernen Sklaverei. Chelsea hat in dieser Saison 28 Spieler in verschiedene Länder ausgeliehen, ohne wirkliche Perspektive im Profiteam, sodass Spieler wie Torhüter Matej Delac seit 5 Jahren in London unter Vertrag stehen, aber seitdem acht Mal ausgeliehen wurden. Yves Thijs zischt das nächste Bier und lacht über die unbekümmerten, hoffnungsvollen Aussagen, die ich ihm von Issaih Brown übermittelte und berichtet über die danach folgenden „Karrieren“ von vielen hochgepriesenen Talenten. Eine Diskussion entsteht, bei der besonders junge Anhänger dem Modell häufiger offen stehen als die mittlere und ältere Fangeneration.
Fazit:
Insgesamt hat Vitesse Arnheim nach Jahren der sportlichen Tristesse durch dieses neue Modell, den Anschluss nach oben geschafft und auch fußballerisch geht mit den Neuzugängen Baker, Nathan, Pantic, Brown und Solanke das spielerische Niveau deutlich nach oben. Chelsea lässt die meist 18-19-Jährigen extern ausbilden und spekuliert auf Gewinne und ihre Entwicklung, bei deren die Vereine kurzfristig profitieren, aber die Spieler meist Objekte der Vereinsoberen darstellen. Das Modell kann man kritisch sehen und doch bietet es Spielern wie Baker oder Brown, die Möglichkeit im Männerfußball Fuß zu fassen und auch Zeit sich körperlich zu entwickeln.Vitesse Arnheim, „Schnelligkeit“ in der Entwicklung erwünscht, aber häufiger ist die Realität der nur kurzfristigen Verstärkungen und höheren Kaderfluktuationen. Insgeheim wollen es nur wenige zugeben, aber irgendwie sehnen sich viele der gesprochenen Personen und Fans in diesen Tagen den alten Zeiten als graue Maus zurück. Keine hochklassigen Talente, aber ein Team voller Identifikation. Angekommen in der Innenstadt sitzen erneut 2-3 Fans mit einem Bier in den Gaststätten, die Sonne geht unter und von Fußball ist nur wenig zu spüren. Gute Nacht aus Arnheim, mit einer ungewissen fußballerischen Zukunft für Verein und die Jungspieler, aber wer weiß was der neue Tag bringt.