Borussia Dortmund betrachtet seit Jahren mit Schrecken das Phänomen, dass die besten Spieler zum Saisonende den Verein verlassen und ihr Glück in einem vermeintlich größeren Verein, mit vermeintlich mehr Erfolgsaussichten und mit sicherlich mehr Geld auf dem Konto suchen möchten. Nicht selten, um genau zu sein, zum dritten Male nun, zieht es einen Leistungsträger in den Süden zum Dauermeisterschaftler FC Bayern. Dass es sich dabei diesmal nicht nur um einen Leistungsträger handelt, sondern um den Kapitän, der dann in München zusammen mit unser aller Lieblingsnachbar Boateng auch noch Nationalmannschaftsinnenverteidigung spielen darf, macht es nicht besser. Aber halt, da war doch was. Es ging doch nicht nur Hummels zu den Bayern, es kam doch auch endlich mal jemand. Endlich wurde zurückgeschlagen. Endlich schaffte es der BVB einen Topspieler von den Bayern zu verpflichten. Endlich nicht mehr nur geben, sondern auch nehmen. Endlich ist man unter den ganz, ganz Großen angekommen. Endlich hat man: Sebastian Rode. Wenn bei Ihnen jetzt die Augen auch nicht feucht wurden, muss die Frage erlaubt sein: War der nötig?
His Completeness
Um es nicht vollkommen falsch zu verstehen, eines vorweg: Sebastian Rode ist ein ausgezeichneter Fußballspieler! In Redaktionskreisen gerne als Box-to-Box Spieler bezeichnet, besticht der 25-Jährige durch eine Ausdauer und einen Kampfgeist, die man seit Kevin Großkreuz nicht mehr unter dem Flutlicht des Signal-Iduna-Parks beleuchtet sah. Während die Talentsuche bei Großkreutz nach diesen, zugegeben extrem wichtigen, Attributen schwierig wird, fangen wir bei Rode gerade erst an: Seine Technik ist gut, kurze Pässe mit dem rechtem Außenrist, unerwartete Lupfer und Ballbeherrschung auf engstem Raum sind für Rode kein größeres Problem. Dazu kommt eine gute Grundschnelligkeit, ein solider Antritt und flanken kann er auch. Sebastian Rode ist ein sehr kompletter Spieler, wie es seine Position, das zentrale defensive Mittelfeld, auch verlangt. Aber hier beginnt das Problem. Rode ist quasi zu komplett. Er hat in seiner Komplettheit kaum Ausbrecher nach oben, das bedeutet im Klartext: Sebastian Rode kann alles gut, aber nichts besonders herausragend. Als Schwächen lassen sich maximal sein Torschuss und sein, körpergrößenbedingt, Kopfballspiel herausfiltern, was er durch cleveres Positionsspiel aber auch kaschiert. Generell bewegt er sich geschickt auf dem Platz, was das Training unter Pep Guardiola nicht verschlechtert hat und was auch Thomas Tuchel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch weiter verbessern kann. Sein Spiel lebt auch von seiner Bissigkeit, die ihn an Gegnern kleben lässt und so zu einem unangenehmen Gegner macht.
Es bleibt festzuhalten, dass Rode ein sehr kompletter Spieler auf einem hohen Niveau ist, der eigentlich jeder Bundesligamannschaft gut tut. Aber trotzdem stellt sich kein Gefühl eines Toptransfers ein, worum das so ist, zeigt ein Blick auf die Spielstatistik: In der Saison 15/16 stand Rode 400 Minuten in der Bundesliga auf dem Platz. In der Championsleague grade mal ganze 90 und im DFB-Pokal wurde er für 3 Minuten eingewechselt.
Von der Bank auf den Platz?
Sebastian Rode war kein Stammspieler beim FC Bayern München und soll nun dem BVB helfen endlich wieder an den Münchenern vorbeizuziehen. Ein Spieler, der also scheinbar nicht so gut ist wie die anderen Spieler, soll diese nun besiegen? Beweisführung abgeschlossen, Transfer gefloppt, Sitzung vertagt. Doch halt. Ich rufe Michael Zorc in den Zeugenstand.
Warum sollte Zorc, der in letzter Zeit mehrfach unter Beweis gestellt hat, dass er ein ausgezeichnetes Transferhändchen hat, denn solch einen Transfer tätigen? Dazu schauen wir uns die Größte Schwäche im Dortmunder Kader an: Die Breite. Borussias Beste zählen zu den Topleuten in ganz Europa und wären auch in anderen Spitzenteams Stammspieler. Mats Hummels wird wohl auch in München nicht die Bank drücken. Aber die berühmte Breite des Kaders war oftmals die Schwachstelle des BVB. Versagte ein Stammspieler, oder war verletzt konnten sie oftmals nicht adäquat aufgefangen werden und hier kommt nun Rode ins Spiel. Falls in der neuen BVB Saison ein Gonzalo Castro verletzt und ein Shinji Kagawa mal wieder im Formtief ist, dann hat man nun: Sebastian Rode. Rode ist also kein Spieler, der die Mannschaft in der Spitze verbessert, aber in der Breite auf jeden Fall. Borussias flexibles Spiel, bei dem ein Sechser im Angriff gern auf die Achter-Position schiebt ist wie gemacht für Rode, der defensiv wunderbar auf der Sechs und offensiv auf der acht agieren kann. Die Position direkt vor der Abwehr wird wohl weiterhin mit dem BVB Shootingstar Weigl besetzt werden, der auf der Sechs stehen bleibt und die Bälle verteilt, während Rode und Konsorten vor ihm zonal rotieren können.
Konkurrenzkampf De Luxe
Eine von Rodes Motivationen um zum BVB zu wechseln war mit großer Sicherheit die zuletzt immer weniger werdenden Spielanteile. Er hofft, dass er bei der Borussia öfter auf dem Platz stehen wird, als es in München der Fall war. Allerdings wäre er blauäugig, wenn er einen Stammplatz unter Tuchel als gegeben annehmen würde. Grade im Mittelfeld tummelt sich das große Dortmunder Potenzial, allerdings mit Dembele, Mor, Pulisic und Merino auch viele Talente, von denen eine hohe Konstanz nicht erwartet werden kann. Auch als erfahrener Gegenpol zu diesen Talenten ist die Verpflichtung Rodes sinnvoll. Durch die Dreifachbelastung wird Sebastian Rode seine Chancen bekommen. Alle Spiele wird er aber bestimmt nicht bekommen. Vielleicht sollte sich also Rode fragen: War das nötig?
Autor: Tobias Haubert