Jedes Talent ist nichts wert, wenn der Kopf nicht mitspielt. In jeder Sportart, auch im Fußball, spielt die Psyche eine enorm wichtige Rolle und steht zu Teilen auch über der Physis eines Spielers. Zwar sind das Talent und die körperlichen Fähig- und Fertigkeiten Voraussetzung um Profi-Fußballer zu werden, die Psyche ist und bleibt trotzdem ein bedeutender und nicht zu unterschätzender Faktor, der in den Spielen um Sieg oder Niederlage, um Klassenerhalt oder Abstieg oder um Meisterschaft oder Vizemeister entscheidet.
Für die Spieler vom VfB Stuttgart konnte mit dem Sieg gegen den VfL Wolfsburg am 17. Spieltag immerhin ein etwas versöhnlicher Abschluss des Jahres 2015 gefeiert werden. Durchschnaufen, Abschalten und sich über die Feiertage mit anderen Dingen beschäftigen. So ein Sieg tut gut, gerade dann, wenn man vor einer längeren Pause vom letzten Tabellenplatz auf den 15. Platz springt. Ein solches Ergebnis wirkt sich natürlich auch positiv auf das Gefühl und die nächsten Trainingseinheiten aus. Mit weiteren vier Siegen und einem Unendschieden gegen den FC Schalke 04 am vergangenen Wochenende grüßt der VfB Stuttgart in der Rückrundentabelle von der Spitze und hat sich mit nun 28 Punkten vorerst aus dem Abstiegskampf verabschiedet. Glück? Gute Transfers? Oder doch die Psyche? Heute lest ihr was sich beim VfB im Winter getan hat.
Wie lief die Vorbereitung?
Am vierten Januar startete der VfB in die Vorbereitung. Am allerersten Tag ließ Coach Jürgen Kramny seine Stars zu Leistungstests antreten, um die körperliche Fitness und Belastbarkeit zu checken. Am Tag darauf ging es ins Trainingslager nach Belek. Mit dabei im Flieger war Mitchell Langerak. Der australische Nationaltorhüter war seit der Sommervorbereitung verletzt und konnte in den Wochen vor Weihnachten nur Teile des Mannschaftstrainings absolvieren. Pünktlich zur Vorbereitung war sein operativer Eingriff komplett ausgeheilt. Für die anstehenden Testspiele und Trainingseinheiten stand er wieder komplett im Saft. Für die Kollegen Martin Harnik und Daniel Ginczek kam das Trainingslager jedoch noch zu früh. Die beiden Offensivkräfte verweilten in Stuttgart und trainierten weiterhin individuell.
In der Küstenstadt der Türkei fand das Trainerteam optimale Bedingungen für eine erfolgreiche Vorbereitung vor: Tolles Gelände, mit optimaler Trainingsplatz und Temperaturen um die 15 Grad. Auch die Testspiele in Belek verliefen durchweg positiv. Gegen den türkischen Erstligisten Antalyaspor, um Alt-Star Samuel Eto’o, gewann der VfB mit 2:1. Gegen den VfL Bochum musste sich der VfB mit einem 0:0-Unendschieden begnügen. Beim letzten Test im Trainingslager konnte Abstiegskonkurrent Hannover 96 mit 2:0 geschlagen werden. Die Generalprobe vor dem Rückrundenstart verpatzten die Schwaben aber auf dem heimischen Clubgelände. Drittligist Würzburger Kickers war an diesem Tag cleverer und schlug den VfB Stuttgart mit 2:1. Coach Kramny konnte dem Spiel trotzdem Positives abgewinnen, wusste jedoch auch, dass sich in Sachen Abstimmung und Formation bis zum Spiel gegen den 1. FC Köln noch etwas verändern muss.
Was hat sich personell getan?
Kevin Großkreutz darf gut und gerne als der Königstransfer der Schwaben bezeichnet werden. Der Ex-Nationalspieler, der seit Ende August 2015 kein Pflichtspiel mehr bestritten hat, hat die Erwartungen der Vereinsführung und von vielen VfB-Anhängern übertroffen. Zweikampf- und offensivstark, bissig und extrem wichtig für die Stabilität der Stuttgarter Defensive. Nachdem es in der Hinrunde große Probleme auf der rechten Außenverteidigerposition gab, hat Robin Dutt mit diesem Transfer einen Coup gelandet. Am letzten Spieltag gegen den FC Schalke 04 machte der Weltmeister seine bislang schwächste Partie im VfB-Dress. Nach einer so langen Zeit ohne Pflichtspiel ist es dennoch bemerkenswert, wie stark er momentan bei den Schwaben aufspielt.
Auch auf der zweiten Problemzone waren die Stuttgarter im Winter aktiv und schlugen auf dem italienischen Markt zu. Mit Federico Barba wurde ein junger und technisch starker Innenverteidiger an den Neckar geholt. Der 22-jährige wechselte per Leihe vom FC Empoli in die Landeshauptstadt, zog sich aber einen Muskelbündelriss zu und ist noch voraussichtlich bis Mitte März außer Gefecht gesetzt.
Im Offensiv-Bereich justierte Robin Dutt ebenfalls nach, da Ginczek zu dieser Zeit noch im Aufbautraining war. Mit Artem Kravets verpflichtete der Sportvorstand einen Spielertyp Stoßstürmer, der seine Stärken klar im Sechzehnmeterraum und in der Luft hat. Sofort im ersten Testspiel stellte er seine Torgefährlichkeit unter Beweis, auch wenn ihm ein Treffer verwehrt blieb. Den Zweikampf um den Platz in der Sturmspitze hat Kravets zwar verloren, er ist aber eine gute Alternative und durch seine speziellen Fähigkeiten ermöglicht er das Stuttgarter Spiel in der Offensive variabler zu gestalten.
Wichtig für den VfB war darüber hinaus, dass mit Daniel Didavi und Filip Kostic zwei immens wichtige Spieler trotz Interesse aus Gelsenkirchen und Wolfsburg gehalten werden konnten. Somit blieben bittere Abschiede dem VfB erspart. Mit Carlos Cruezo, Adam Hlousek, Robbie Kruse und Odisseas Vlachodimos verließen vier Spieler den VfB, die sowieso keine große Rolle unter Kramny spielten.
Eine bittere Pille mussten die Schwaben dennoch schlucken. Pechvogel Daniel Ginczek verletzte sich vor eineinhalb Wochen im Training am Knie und zog sich einen Kreuzbandriss zu. Der Top-Stürmer wird diese Saison nicht mehr zum Einsatz kommen können.
Spielerische Ausrichtung in der Rückrunde
Die spielerische Ausrichtung des VfB hat sich im Vergleich zu den letzten Spielen aus der Hinrunde nicht sonderlich verändert. Man merkt jedoch, dass der VfB in der Vorbereitung einen großen Wert auf das Defensiv-Verhalten gelegt hat. Hauptsächlich variiert die Formation immer zwischen einem 4-1-4-1 oder 4-2-3-1 (offensiv) und einem 4-4-2 oder 4-4-1-1 (defensiv). In der Defensive setzt Kramny auf Erfahrung. Der junge Timo Baumgartl muss sich zunächst mit dem Platz auf der Bank begnügen und auf seine Chance warten. Auch im Mittelfeld und Offensiv-Bereich hat Kramny sein Spielerpersonal gefunden. In den letzten fünf Spielen begann der VfB jedes Mal mit derselben Startaufstellung mit Ausnahme gegen Hertha BSC Berlin, als Kramny den gelb-rot gesperrten Didavi durch Alexandru Maxim ersetzen musste.
Fazit
Der VfB ist bemerkenswert in die Rückrunde gestartet. Der Trainer scheint, die optimale spielerische Ausrichtung gefunden zu haben. Auch die sportliche Leitung hat im Wintertransferfenster einen guten Job gemacht. Neben dem Transfer von Kevin Großkreutz wurde mit Artem Kravets eine gute Alternative für das Sturmzentrum verpflichtet. Die Schwaben treten bei Weitem selbstbewusster und selbstverständlicher auf, als es noch in der Hinrunde der Fall war. Mit dem Abstieg wird der VfB nichts mehr zu tun haben. Spielen sie so weiter können die Stuttgarter auch noch in Richtung Europa-League schielen. Woher das plötzliche Selbstbewusstsein kommt? Naja, allein an der spielerischen Klasse kann es wohl nicht liegen.