So kurz nach Saisonende wird es Zeit, dass man den SC Freiburg gebührend lobt. Die ehemalige georgische Enklave hat sich zu einem Aushängeschild der Liga entwickelt und zwar in zahlreichen Aspekten. Trotz jahrelangem tabellarischen Wechselbad der Gefühle hält man weiter an Trainer Christian Streich fest, der sich zu einer Ikone unter den Bundesliga Trainern gemausert hat. Kaum ein Trainer steht für Authentizität wie der Freiburger Coach, der zwischen aufrechten Beileidsbekundungen für gegnerische Trainer und gesellschaftlichen Appellen stets sympathisch daherkommt. Dazu die Ruhe, die den Verein aus dem Breisgau seit jeher umgibt und der so ungewöhnlich in der Bundesliga ist.
Doch vor allem hat man sich als Talentschmiede im Schatten der größeren Vereine einen Namen machen können. Freiburg leistet Fließbandarbeit in der Bereitstellung von Bundesliga-gestandenen Profis, die für Höheres berufen scheinen. Alleine in den vergangenen Jahren schafften Max Kruse, Vladimir Darida, Oliver Baumann, Roman Bürki oder Admir Mehmedi den Durchbruch bei Freiburg. Dazu kommen auch noch Eigengewächse wie Matthias Ginter, Oliver Sorg oder Jonathan Schmid. Sie alle erreichten ihre Topform unter Streich und den Breisgauern, um dann zu finanzstärkeren Vereinen zu wechseln. Hier reiht sich nun auch Maximilian Philipp ein, der nach insgesamt viereinhalb Jahren das beschauliche Bundesliga-Gallierdorf verlässt, um sich beim zweitgrößten deutschen Verein zu empfehlen.
So stellt man sich einen Karriereweg vor
Bevor sich Philipp bei den Breisgauern als Bundesligaprofi etablieren konnte, musste er in Jugendzeiten zunächst von Hertha BSC aussortiert werden. Angetrieben von dem Bedürfnis, sich doch als Profifußballer durchsetzen zu können, nahm er schließlich den Umweg über Tennis Borussia Berlin und Energie Cottbus, um zu U19-Zeiten von sich reden zu machen. In der ältesten deutschen Jugendaltersklasse fiel er schließlich den Freiburger Scouts auf, die in Philipp zahlreiche Facetten vereint sahen, die sie in einem Stürmer suchten: spielfreudig, wendig, mit guter Übersicht und feiner Technik ausgestattet. Dass Philipp zu dem Zeitpunkt einen eher schmächtigen Eindruck machte, der die Hertha abschreckte, war den Scouts reichlich egal. Dies war zu dem Zeitpunkt nicht selbstverständlich, da „Mili“, wie er von seinen Freunden genannt wird, auch in der U19 die Bundesligatauglichkeit ob seines wenig muskulösen Auftretens und seiner Zweikampfunfähigkeit abgesprochen wurde.
Dennoch verpflichtete man zum Jahreswechsel 2013 den damals 18-Jährigen, dem man klare Richtlinien mit auf dem Weg zum Profi gab: Erfahrungen sammeln, sich im Training anbieten und weiterhin Tore erzielen, dann wäre sein Weg trotzdem vorgezeichnet. Dies sollte sich auch bewahrheiten. Philipp überzeugte mit zweistelligen Torquoten in der Jugend- und der Regionalligamannschaft, die ihn letztlich im April 2015 in der Bundesliga debütieren ließen. Innerhalb weniger Jahre konnte einmal mehr ein ehemaliger Herthaner über Umwege in der Bundesliga auf sich aufmerksam machen.
„Einmal komplett, bitte!“
Wer nach Gründen für den raschen Erfolg des mittlerweile 23-Jährigen sucht, der muss bei der Leistungsexplosion der vergangenen 24 Monate genauer hinsehen. Denn Philipp konnte seit der Zweitliga-Saison, in der er zum Stammspieler avancierte, mit Fähigkeiten glänzen, die ihn bereits in der Jugend so attraktiv machten. Da wäre zunächst seine Spielfreudigkeit, die ihn in allen offensiven Positionen auftauchen lässt. Nominell zwar hinter den Spitzen oder auf der rechten Außenseite aufgestellt, flippert der Neu-Dortmunder zwischen den Linien hin und her, um stets anspielbar zu sein. Auch am Ball zeigt er dann seine Kreativität, die auf seiner starken Technik und Ballbehandlung beruht. So ist Philipp auch in der Lage, im Dribbling für Schaden zu sorgen. Dabei zeigt sich: Je mehr Platz Philipp nach vorne hat, desto gefährlicher gestalten sich seine Aktionen. Kann er einmal Tempo am Ball aufnehmen und auf eine Abwehrreihe zulaufen, hat er genügend Mittel, um diese zu schlagen. Gerne sucht er in diesen Situationen das Dribbling, am liebsten jedoch selber den Abschluss, wenn sich die Gelegenheit bietet. Besonderes Merkmal sind dabei seine gefährlichen Fernschüsse, mit denen er in dieser Saison drei Treffer erzielen konnte, nur übertroffen von Leipzigs Forsberg und Ingolstadts Suttner. Philipp verfügt über eine exzellente Schusstechnik und weiß diese auch geschickt einzusetzen. Abgerundet wird sein komplettes Angriffspaket durch seinen guten Riecher im Strafraum, der ihn gerne instinktiv richtig stehen lässt und für leichte Tore aus kurzer Distanz sorgt.
Dennoch bleiben genügend Fragezeichen im Spiel des 23-Jährigen. Zunächst einmal zeigt sich Philipp sehr schwach im Spiel gegen den Ball, besonders in direkten Duellen. Seine Zweikampfquoten belegen dies eindrücklich, da Philipp in der laufenden Saison gerade einmal 40% der Zweikämpfe für sich entscheiden konnte. In der Luft sogar nur knapp ein Drittel. Dass er dazu auch noch durchschnittlich nur etwa einen Ball pro Spiel abfängt, macht ihn zu einem Risikofaktor während des Ballbesitzes des Gegners. Auch seine Passfähigkeiten sind noch nicht auf hohem Niveau getestet worden und müssen an das Dortmunder ballbesitzlastige Spiel, das wohl unter Trainer Bosz weitergeführt wird, angepasst werden. Vor diesem Hintergrund erscheint seine 70%ige Passquote in diesem Jahr noch gerade akzeptabel, seine fünf vorbereiteten Großchancen dagegen völlig inakzeptabel. Der Neuzugang muss hier seine Bereicherung für das Team jenseits des eigenen Abschlusses eindeutig unterstreichen. Dazu kommt auch ein Phänomen, das häufig in Liga zwei beobachtet werden konnte: Läuft es im eigenen Spiel nicht so gut, wird auch Philipp schnell unsichtbar und fällt kaum auf. Hier zeigen sich seine defensiven Schwächen wieder, die er nicht anderweitig kompensieren kann bislang. Dafür fehlen ihm auch Einflussmöglichkeiten bei Standards. Es scheint, als sei „Mili“ hier von stärkeren Mitspieler abhängig, die ihn in Szene setzen können. Da kommt so ein Wechsel nach Dortmund recht.
Wieviel Reus kann in Philipp stecken?
Dazu kommt auch noch, dass Philipp positionell noch nicht festgelegt scheint. Obwohl ihn Streich oft auf der rechten Seite aufgestellt hat, ist Philipp kein typischer Flügelspieler, der Stürmer mit Flanken versorgt. Sein Instinkt rät ihm stets zum ersten Schritt in die Mitte, sodass er wohl eher als hängende Spitze betrachtet werden kann. Seine Torgefahr würde auch dafürsprechen. Nur gibt es im Dortmunder System keine solche Position, die es ihm ermöglichen würde, um einen Stürmer herum zu spielen. Dafür müsste er eher weiter außen spielen können, um einen Einfluss á la Dembélé nehmen zu können. Oder gar wie Reus.
Um den Vergleich zu Reus, der von den Medien oft bemüht wird, kurz in Perspektive zu rücken, sei an dieser Stelle ein kurzer Vergleich zwischen Reus‘ letzter Gladbach Saison 2011/12 und der aktuellen Philipp-Saison angestellt. (Beide sind jeweils danach zu Dortmund gewechselt.) Obwohl die Spielstile beider Spieler in der Saison sehr gleich waren (starke Dribblings; enormer Zug zum Tor, insbesondere bei Kontern; gefährliche Fernschüsse), zeigen die Zahlen eine deutlich ausgereiftere Spielanlage bei Reus: dieser kann eine bessere Passquote, effektiveren Einsatz gegen den Ball (fünffache Anzahl an Balleroberungen!) und gefährlichere Statistiken vor dem Tor aufweisen. Reus‘ Fabelsaison mit Gladbach mag eine statistische Ausnahmeerscheinung sein, sie belegt aber vor allem: Reus war und ist einfach der komplettere Fußballspieler, an dem Philipp nicht gemessen werden sollte, da er sonst nur scheitern kann.
Wo ist die Nische?
Philipp wird seine Nische im Dortmunder Kader finden müssen. Auf dem Flügel sind ihm aktuell ein fitter Reus, Dembélé und Pulisic vorzuziehen, gerade wenn Dortmund weiterhin auf zwei Flügel um einen zentralen Stürmer herumspielen sollte. Vielleicht kann er sich in der Abwesenheit von Reus zwar beweisen, danach wird er sich aber anstellen müssen. Für eine äußere Position im Mittelfeld fehlen ihm schlicht die defensiven Möglichkeiten, nach hinten zu verdichten. Damit bleiben nur noch zentralere Positionen im Mittelfeld, sofern diese im System Bosz‘ existieren, wo dann die Konkurrenten Kagawa oder Götze hießen, sofern beide fit sind und im Kader bleiben. Oder er rückt in die vorderste Spitze und entwickelt sich zu einem Stoßstürmer, der sich mitunter zurückfallen lassen kann, um Räume zu öffnen. Je nachdem ob Aubameyang geht, ist Dortmund aktuell ohne echten Stürmer im Kader unterwegs, sodass zwangsläufig Philipp seine Chancen dort erhalten könnte. Das könnte sich zu einem Langzeitprojekt für Verein und Spieler entwickeln, da „Mili“ kaum Erfahrungen als vorderster Stürmer mitbringt und ihm dort noch wichtige Fähigkeiten abhanden gehen: er muss körperlich weiter zulegen, um sich physisch durchsetzen zu können und er muss lernen, Bälle mit dem Rücken zum Tor auch festmachen oder ablegen zu können. Langfristige Ziele, um hohe Ziele zu erreichen.
Schließlich schließt er sich in Dortmund einem anderen Branchenprimus der Bundesliga an und tauscht Beschaulichkeit gegen Scheinwerferlicht. Seine Torgefahr konnte er in der Freiburger Gemütlichkeit beweisen und genau diese wird er nun nach Dortmund übertragen müssen, um eine langfristige Rolle spielen zu können. Mit dem neuen Trainer Bosz findet Philipp nun wieder einen Jugendflüsterer á la Streich, der ihn vielleicht zu neuen Höhen verhelfen kann. Die Zeit in Freiburg hat immerhin nachgewiesen, dass der 23-Jährige mit der richtigen Portion Einfühlsamkeit und Perspektive über sich hinauswachsen kann. Genau das wird er nun in Dortmund tun müssen.