Seit 2015 hat sich RB Leipzig mittlerweile zehnmal beim Mutter-/Schwester-/Tochter-Club in Salzburg bedient. Zehnmal ging ein leises bis mittellautes Raunen durch die Fußball-Landschaft und der Vorwurf des Wettbewerbsvorteils hält sich seither konstant. Spieler wagen den obligatorischen ‚nächsten Karriereschritt‘ in der benachbarten deutschen Bundesliga und können sich in einer der Top-Liga Europas beweisen. Gewissermaßen eine innerbetriebliche RB-Versetzung an einigen Granden Europas vorbei. Herausragenden Beispielen wie Naby Keita oder Marcel Sabitzer wird nun ein weiterer österreichischer Import an die Seite gestellt. Mit dem 20-jährigen Konrad Laimer wechselt ein hochveranlagtes Mittelfeld-Talent nach Leipzig, das nach einer aufsehenerregenden Saison in unserem Nachbarland in die hiesige Bundesliga befördert wird. Eine Wiedervereinigung mit Keita und Co., mit denen er in Salzburg groß geworden ist, die er in der Folge ersetzt hat und mit denen er nun wieder gemeinsam agieren darf. Laimer ist aber auch die logische quantitative und qualitative Aufwertung des Leipziger Kaders, der Champions-League-Weihen empfangen wird und sich vor einer kräftezehrenden Saison mit Mehrfachbelastung wähnt. Ob und wie der junge österreichische Mittelfeldwühler helfen kann, wird von einigen Variablen abhängen.
Ein Bulle wie er im Buche steht
Bei den zahlreichen und kostenintensiven Investitionen, die Red Bull in Leipzig und Salzburg tätigt, wird gerne außer Acht gelassen, dass neben den sportlichen Hochglanzprodukten auch eine beträchtliche Summe in die Nachwuchsabteilung und -entwicklung gesteckt wird, die zum Steckenpferd herangezogen werden soll. In unserer Reportage über das NLZ Leipzig haben wir bereits herausgestellt, dass den jungen Bullen von Beginn an der RB-Stil eingeflößt wird, am liebsten noch vor der U12 (hier!). Ungern möchte man sich von Transfers abhängig machen, sondern diese in absehbarer Zukunft nur punktuell tätigen. Ein ähnliches Konzept wird in Salzburg bereits seit längerer Zeit verfolgt. Die Nachwuchsakademie, die 2014 mit großer medialer Beachtung neu eröffnet wurde, dient dort als Kaderschmiede und Entwicklungsbecken für begabte Spieler aus Österreich und der näheren Umgebung. Einer der ersten Spieler, die sich dem damaligem RB-Projekt verschrieben haben, war der 10-jährige Konrad Laimer, der 2007 aus seiner Heimat Abersee in die Akademie wechselte und sich der Bullen-Kur unterzog.
In den vergangenen zehn Jahren hat der Österreicher einen Werdegang hingelegt, wie ihn sich Mateschitz und Konsorten nur wünschen können. Stets einer der, wenn nicht gar der Jahrgangsbeste in Salzburg, unterschreibt Laimer als 17-Jähriger seinen ersten Profivertrag und debütiert direkt in der Bundesliga und der Europa League, obwohl er eigentlich erst die für die Zweite Mannschaft eingeplant wird. Nach und nach etabliert sich das Eigengewächs in der Mannschaft, überzeugt die verschiedenen Trainer der Salzburger und kann selbstverständlich auch international für Furore sorgen. Bei der U20-WM 2015 in Neuseeland ist er noch der jüngste Spieler in der österreichischen Mannschaft, die das Achtelfinale erreicht, inzwischen eine feste Größe in den Auswahlmannschaften. Insgesamt absolviert er 29 Spiele für die U18, U19 und U20 Österreichs und schafft in der Saison 15/16 auch den endgültigen Durchbruch in der ersten Mannschaft von Red Bull. Zur Rückrunde ist er Stammspieler und agiert als 18-Jähriger neben Keita in der Mittelfeldzentrale als einer der Strippenzieher.
In jeder Hinsicht RB-typisch
Doch erst der Umbruch inklusive Leipzig-Wechsel Keitas im vergangenen Sommer gibt Laimer den nötigen Push, um aus dem Schatten seiner Vorgänger heraustreten zu können. Nun endgültig Fixpunkt im Mittelfeld des österreichischen Serienmeisters, hebt der Neu-Leipziger sein Niveau noch einmal an und kann am Ende der Saison auf 31 Einsätze in der Liga sowie zehn internationale Einsätze in Champions- und Euro-League zurückblicken. Dass man in der CL-Quali scheitert und letztlich auch nicht in der EL überwintern kann, gehört genauso zum guten Ton in Salzburg, wie der überragende Durchmarsch in der Liga. Wie sehr Laimer dabei überzeugen kann? Er wird am Ende der Saison zum Spieler der Saison gewählt. In seiner ersten wirklichen Stammspielersaison. Mit 19 Jahren. Gibt es deutlichere Zeichen, dass der ominöse ‚nächste Karriereschritt‘ folgen sollte?
Laimers steiler Aufstieg lässt sich ohne Probleme mit seiner fußballerischen Sozialisation in Verbindung bringen. Seine Stärken sind auch die Vorzüge eines jeden RB-Spiels: unermüdliches Agieren gegen den Ball und blitzschnelles, offensives Umschaltspiel. Der Österreicher schafft es, Gegenspieler dauerhaft unter Druck zu setzen und verengt Räume im Mittelfeld geschickt und effektiv. In höchstem Tempo läuft er seine Gegner an und jagt Bällen hinterher. In der Regel kann er somit pro Spiel über zwei Bälle abfangen und unzählige weitere Bälle erobern. Er profitiert hier von seiner Antizipationsfähigkeit, die ihn gewinnbringende Situationen schnell erkennen lässt. Unterstützt durch seine Reaktionsschnelligkeit avanciert Laimer zu einem Balljäger im Mittelfeld, dessen eigentlicher Wert kaum bemessen werden kann. Denn es sind die kleinen Dinge, die statistisch kaum erfassbar sind, ihn aber umso wertvoller erscheinen lassen: Der Druck, den er auf ballführende Spieler ausübt, wenn er als doppelnder Verteidiger unterstützt; seine Gabe, die gegnerische Ballzirkulation zu lenken und Situationen zu schaffen, die eigene Ballgewinne ermöglichen; sein geschicktes Positionsspiel, das ihn überall im Mittelfeld auftauchen lässt. Gewinnt er schließlich den Ball, schaltet Laimer einige Gänge hoch und kurbelt das Offensivspiel an. Schnell verlagert er das Spiel in diesen Situationen, um selber direkt nach vorne zu stoßen und wieder anspielbereit zu sein. Ihn zeichnet dieser Offensivdrang aus, der immer wieder Lücken in gegnerische Verteidigungen reißt, Verwirrung stiftet und gefährliche Abschlussmöglichkeiten um den Strafraum kreiert. Ein RB-blueprint. Grundlage für diese kraftraubende Spielweise ist seine überdurchschnittliche Ausdauer und seine Bereitschaft, das ganze Spiel über Vollgasfußball spielen zu wollen. Darüber hinaus kann Laimer auch mit weiteren offensiven Attributen punkten. Mit großer Regelmäßigkeit findet er seine Mitspieler im Strafraum oder ermöglicht Torchancen durch seine gefährlichen Schnittstellenpässe. Vor dem Tor hat er zwar noch Entwicklungspotenzial, kann sich jedoch auch als Torschütze auszeichnen und kann gerade auch aus der Distanz zu einer Gefahr werden.
Spielerisches und positionelles Potenzial
Inwieweit seine spielerische Feldüberlegenheit auch der schwächeren Liga in Österreich geschuldet ist, wird sich zeigen. Genügend Österreich-Importe konnten sich schließlich auch in der Bundesliga durchsetzen, wie jenseits von Leipzig u.a. Kevin Kampl bewiesen hat. Bei allen hervorstechenden Fähigkeiten hat Laimer schließlich, auch altersbedingt, noch genügend Luft nach oben. Bei eigenem Ballbesitz lässt er noch einiges an Ballsicherheit vermissen und auch eine Stabilität bzw. Zuverlässigkeit im Passspiel geht ihm noch ab. Obwohl das RB-Angriffsspiel gewiss nicht ballbesitzlastig sein mag, muss er seine Passgenauigkeit von aktuell 75% noch nach oben schrauben. Gerade in der gegnerischen Hälfte (70% Passquote) darf er trotz seiner Schnittstellenpass-Gefahr nicht zu einem schwachen Glied der Passkette werden. Dazu fällt seine Zweikampfschwäche auf, da Laimer in der abgelaufenen Saison nur etwa 47% seiner Zweikämpfe für sich entscheiden konnte. Gerät er in Zweikampfsituationen spielt er außerdem noch zu häufig Foul. Obwohl diese Spielunterbrechungen auch für defensive Ordnung sorgen können, bescherten sie Laimer in der abgelaufenen Saison vor allem auch unnötige gelbe Karten und Sperren. Besonders bitter wog hier der Platzverweis im Topspiel gegen Sturm Graz, als er noch in der ersten Hälfte vom Platz gehen durfte und Salzburg letztendlich 0:1 unterlag. Sollte er diese Schwächen abstellen können und zusätzlich noch effektiver in Abschlusssituationen werden, steht jedoch einem Weg in die Feinkost-Mittelfeld-Abteilung nichts entgegen, denn die Anlagen des jungen Österreichers sind wie gemacht für einen kompletten Mittelfeldspieler. Ganz nach seinem Vorbild Steven Gerrard.
Dessen positionelles Arbeitsgebiet deckt auch Laimer ab. Als zentraler Mittelfeldspieler ist er ein moderner Achter, der das Spiel zwischen den Strafräumen beherrscht. Analog zu seinem Idol kann er jedoch auch als defensiver Sechser glänzen mit Augenmerk auf der Balljagd. In Leipzig wird er in Folge dessen mit dem beiden Ex-Salzburgern Sabitzer und Keita sowie mit Neu-Nationalspieler Diego Demme konkurrieren. Während im 4-3-3 diese Spieler die Mittelfeldzentrale gebildet haben, durften sich Keita und Demme alleine im 4-4-2 dort betätigen und Sabitzer nach außen ziehen. Entsprechend schwierig dürfte sich eine Stammplatz-Ambition für Laimer gestalten lassen, wenn man an die überragende Spielzeit des letztjährigen Vize-Meisters zurückdenkt. Doch Laimer ist der ideale Ergänzungsspieler, der Leipzig in der vergangenen Saison im zentralen Mittelfeld gefehlt hat. Entweder wurde Ilsanker aus der Abwehrzentrale nach vorne befördert oder Dominik Kaiser bzw. Rani Khedira bekamen ihre (geringen) Einsatzchancen, allesamt keine Wunschalternativen für Trainer Hasenhüttl. Angesichts der Mehrfachbelastung erhält der Übungsleiter stattdessen nun einen Landsmann, den er, ungeachtet der eigenen Ausrichtung, guten Gewissens in die Mannschaft rotieren kann.
Salzburg 2016 = Leipzig 2018?
Der größte Vorteil des 20-Jährigen dürfte dabei sein, dass er sich „nur“ an das Spieltempo in Deutschland und die besseren Gegenspieler, nicht aber an die eigene Herangehensweise der Mannschaft gewöhnen muss. Stallgeruch ist schließlich einer der großen Vorteile bei betrieblichen Beförderungen. So wird man dem hochveranlagten Mittelfeldspieler Eingewöhnungszeit einräumen, die dieser mitunter aber nicht brauchen muss, wenn er seine atemberaubende Entwicklung beibehält. Im Schatten von Topstar Naby Keita wird das Spiel Laimers weiter an Kontur gewinnen können, um dem neuen Leipziger Selbstverständnis entsprechen zu können. Nicht umsonst hat Mateschitz unlängst betont, dass ein Verkauf von Keita (zwischen 70 und 80 Mio. Euro!!) ein schlechtes Signal an andere begehrte Spieler und verheißungsvolle Talente sei. Laimer darf sich also sicher sein, dass der Kader der Leipziger zumindest in der kommenden Saison auf dem Papier noch stärker zu sein scheint als letztes Jahr.
Mit Bruma, Augustin und Mvogo hat Leipzig auf dünn besetzten Positionen nachgebessert und schiebt sich an, auch 2017/18 oben mitspielen zu wollen. Doch die Verpflichtungen deuten nicht nur kurzfristige Abhilfe an, sondern bieten reichlich Zukunftsperspektive. Sollten Keita und Co. im kommenden Sommer nicht mehr zu halten sein bzw. endgültig auf einen Wechsel pochen, stehen die Kronprinzen bereits in den eigenen Reihen und warten auf ihre Zeit im Rampenlicht. Konrad Laimer hat schließlich bereits einmal bewiesen, dass er neben diesen Spielern glänzen oder sie sogar gänzlich beerben kann. Ein Szenario, das sich wiederholen kann und das die Verantwortlichen gewiss im Hinterkopf haben dürften.