Mit dem Wechsel von der Wölfe-Identifikationsfigur Naldo zu den Knappen nach Gelsenkirchen klaffte eine große Lücke im Volkswagen-Defensivverbund – bis jetzt. Bruma soll nun den neuen Eckpfeiler der Wolfsburger Innenverteidigung symbolisieren. Laut eigenen Aussagen wollte er seit seiner Zeit beim HSV eines Tages in die Bundesliga zurückkehren: „Denn sie gehört zu Europas Top-Ligen.“ Er soll den so oft kritisierten Entwicklungsschritt der Wolfsburger Truppe vorantreiben und als junges Gesicht den Weg nach Europa ebnen.
Arbeit ist der Umweg zu allen Genüssen
Jeffrey Kevin van Homoet Bruma ist einer von 600.000. Eine Skyline aus Wolkenkratzern schmückt seinen Geburtsort Rotterdam. Kultur, Industrie und Handel treiben seine Heimatstadt an. Im November 1991 beginnt für ihn seine Reise in Südholland. Früh entdeckt er in der Cruyffschen Fußballnation das Fußballspielen für sich und kickt im ortsansässigen Klub Excelsior Rotterdam, bis das große Aushängeschild der Stadt auf den Jungen aufmerksam wird – Feyenoord Rotterdam, der 14-malige niederländische Meister. Ein Traum beginnt, der schon ein Jahr später den nächsten Höhepunkt in die Stollen des jungen Jeffrey kerbt: Der große FC Chelsea nimmt ihn im Juli 2007 in seine Jugendakademie auf, die er schließlich bis zum Ende durchläuft. Was nun folgt sind die ersten Flecken auf der bis hier so reinen Weste seines Fortschritts. Leihen zu den Foxes aus Leicester und zwei Gastjahre beim Hamburger Sportverein bringen ihm nicht die erforderlichen Entwicklungsschritte, um langfristig bei den Blues eine Rolle zu spielen. Zu groß war die Konkurrenz durch John Terry, David Luiz und Gary Cahill – wie ein Leiharbeiter muss er sich bei seinen Bewerbungsvereinen vorgekommen sein, ohne Chance auf eine Zukunft beim Abramovich-Klub.
Beim Bundesliga-Dino war zunächst zumindest noch vereinzelt eine Startposition zu verzeichnen, wohingegen sein zweites Jahr eine herbe Enttäuschung für das niederländische Talent darstellt. Ausgerechnet ein Kollege aus der Akademie seines FC Chealsea, Michael Mancienne, wird ihm neben Heiko Westermann in der Innenverteidigung vorgezogen, womit seine Leihzeit im Sommer 2013 trostlos zu Ende geht und eine Rückkehr nach London bevorsteht. Lag es an fehlendem Talent, Engagement oder der falschen Zeit? Nun hält auch der FC Chelsea unter Trainer Jose Mourinho nicht mehr an ihm fest und gibt ihn zurück in seine Heimat: PSV Eindhoven soll seine nächste und wegweisende Station heißen. Wie ein Gummiball schmetterte Bruma von Wand zu Wand ohne Haftung, ohne Auffangmöglichkeit. Drei Jahre setzt der Rivale von Feyenoord auf den jungen Jeffrey: Aufmerksamkeit, Talentstatus und Interesse von Topklubs sind das Resultat aus harter Arbeit, einem großen Entwicklungsschritt und konstant guten Leistungen. Eine Aschenputtel-Geschichte in der er sich durch Motivation und Durchsetzungsvermögen zu aller erst selbst beweisen musste, dass er bei den großen mitspielen kann. Seine Zeit bei PSV zeigte es schließlich auch dem Rest, der ihn für überbewertet und zu schwerfällig gehalten hatte. Jetzt war er das Objekt der Begierde. Lange Zeit duellierte man sich in Wolfsburg mit Inter Mailand um den jungen Innenverteidiger, der sich letztlich gegen europäischen Fußball und für das Projekt der Niedersachsen entscheidet. Eine charakterlich starke, aber überraschende Entscheidung, die den Weg, den der Vfl Wolfsburg gehen will, stark untermauert und mit Bruma einen motivierten Kandidaten als Leitwolf für ihre Visionen überzeugen konnte.
Boateng 2.0 – Ein gerechtfertigter Vergleich?
Der junge Rechtsfuß ist gestandener Innenverteidiger, der bei Bedarf, wie auch ein Höwedes im Nationaltrikot bei der diesjährigen EM, auf die Rechtsverteidigerposition ausweichen kann. Für den einen oder anderen wird seine Zeit bei den Hanseaten noch negativ in Erinnerung geblieben sein. Fragen nach einer Berechtigung des Hypes sind entstanden und dann wäre da noch der Vergleich zu Vorzeigeverteidiger Jerome Boateng. Zweifelsohne besitzt Bruma eine hervorragende Athletik, ist stark in der Luft und verfügt über eine solide Grundschnelligkeit. Sein Stellungsspiel hat er während seiner Zeit bei Eindhoven stark verbessern können, ebenso wie seine Spieleröffnung. Gerade jene letzte Eigenschaft wird dringend bei den Wölfen benötigt. Einen Spielzug qualitativ vorzubereiten ist auf hohem Niveau Grundvoraussetzung für einen ballbesitzorientierten Stil. Mit Naldo verlässt vor allem eine eher horizontale Spielweise den Klub und wird mit Vertikalität ersetzt. Ähnlich wie Weltmeister Boateng streut Bruma einige diagonale Spielverlagerungen in sein Spiel ein und versucht stets den Weg nach vorne zu suchen. Leider fehlt es ihm, auch aufgrund fehlender Erfahrung und höherem Liganiveau, an Spielintelligenz und Kreativität. Begriffe die mit Naldo und vor allem mit Boateng stark in Verbindung gebracht werden.
Hier gilt es unter Dieter Hecking nun das vorhandene Potenzial herauszukitzeln und den nötigen Entwicklungsschritt zu gehen. Ebenso fehlt es ihm an Dynamik. Dennoch soll dies seine Klasse keineswegs schmälern. Um genau jene Aspekte für sich zu verbessern wagt er nun zum zweiten Mal den Gang ins deutsche Oberhaus und wird sogleich mit Verantwortung und Erwartungen konfrontiert. Hier gilt es das nötige Selbstvertrauen aus der gewonnen Meisterschaft der letzten Saison aufrechtzuerhalten und für sich zu nutzen. Ansätze des großen Boatengs aufzuweisen ist ein solider Anfang, wobei realistischer Weise erwähnt werden muss, dass der Volkswagenklub noch lange nicht über das gleiche spielerische und personelle Potenzial wie die Bayern verfügt und ein umfangreicher Vergleich hinsichtlich seiner Entwicklung nicht vorauszusehen ist. Trotzdem ein Lob für den erst 24-jährigen Bruma.
Der Naldo-Ersatz ist geglückt – Ist mit Bruma ein potentieller Leader gefunden?
Bruma besitzt großes Potenzial und kann bei steigender Entwicklungskurve seinen brasilianischen Vorgänger um Längen überholen. Er besitzt schon jetzt stark ausgereifte Fähigkeiten, welche Naldo in der direkten Konfrontation nur durch seine Erfahrung einen geringen Vorsprung geben. Der junge Niederländer wurde geholt, um der neue Leader zu sein und ein Statement zu setzen. Sollten die Wölfe in vorhandener Konstellation in der Innenverteidigung verharren, wird ein junges Innenverteidiger-Duo mit Knoche ein äußerst realistisches Szenario darstellen, sofern Dante keinen gewaltigen Formsprung erreicht, oder seine berufliche Zukunft außerhalb Wolfsburgs sucht. Um den Kader qualitativ in der Breite zu stärken und den Konkurrenzkampf gesund zu halten, sollten Allofs und Hecking einen weiteren Innenverteidiger definitiv als Backup, beziehungsweise als Mann neben Bruma in Erwägung ziehen. Sein Platz wird positionsgetreu zu Naldo auf der rechten, zentralen Verteidigerposition sein, um seinen starken rechten Fuß zur Geltung zu bringen. Probleme stellt hier nur die linke Innenverteidigerposition hinsichtlich der Auslegung auf einen Linksfuß dar. Knoches Spielfuß ist ebenfalls der Rechte und einzig Dante ist der hier einzusetzende Linksfuß. Ein weiterer Grund, um über eine zusätzliche Verpflichtung auf dieser Position nachzudenken. Bis jetzt waren die Innenverteidiger vor allem auf eine Einleitung des Spiels über die Außenverteidiger und Sechserpositionen begrenzt, eine Ausrichtung die sich mit Bruma nun flexibler gestalten lässt.
Nun ist es wichtig, eine gesunde Förderung an den Mann zu bringen, um die nötigen Schritte zu einer guten Weiterentwicklung zu gewährleisten. Die Motivation des ehemaligen Hamburgers unterstreicht die Entsagung an den Europa League Fußball zusätzlich. Am Ende setzten sich die Wölfe gegen den Großkonkurrenten Inter Mailand durch, die den Spieler vor allem mit dem internationalen Geschäft locken wollten. Wolfsburg steht demzufolge nicht nur aufgrund eigener Ansprüche ein wegweisendes Jahr bevor, sondern auch um die personelle Situation entspannt zu halten. Spieler wie Bruma glauben an die Klasse des Klubs und das Ziel sich in Europa zu etablieren. Sollten diese Meilensteine allerdings nicht realisiert werden, sind ambitionierte Akteure nicht zu halten.