Welcher Anhänger des VfL Wolfsburgs erinnert sich nicht gerne an den 06. April 2016 zurück: Die Wolfsburger bezwangen im Viertelfinal-Hinspiel den späteren Champions-League Sieger Real Madrid mit 2:0. Während die Königlichen bis heute kein Pflichtspiel mehr verloren haben, symbolisiert diese Partie für den VfL Wolfsburg den wohl vorerst letzten großen Höhepunkt auf internationaler Bühne. Wie vielleicht kaum ein anderer Bundesligist blicken die Niedersachsen nach 16 Bundesligapartien in eine ungewisse Zukunft. Zwar konnte sich Chef-Trainer Valerien Ismael nach wachsender Kritik mit zuletzt zwei Siegen wieder etwas Luft verschaffen, jedoch ist die Position des Geschäftsführers Sport nach der Freistellung von Klaus Allofs noch vakant. Lediglich eine Personalie könnte den Wölfe-Fans doch noch den letzten Funken Hoffnung erhalten, wieder an die Erfolge aus der jüngeren Vergangenheit anzuknüpfen. Sein Name: Riechedly Bazoer.
Transfercoup mit Zukunftschancen
Riechedly Bazoer gilt als eines vielversprechendsten Talente des niederländischen Fussballs. Seine Jugend verbrachte der 20-jährige in den U-Mannschaften des PSV Eindhovens, ehe er im Jahr 2012 in die Weltberühmte Jugendakademie des niederländischen Rekordmeisters Ajax Amsterdam wechselte. Von da an nahm die Karriere des jungen Mittelfeldspielers einen rasanten Aufstieg. Insbesondere die Saison 2015/2016 hätte dabei für Bazoer nicht besser laufen können: Als Stammspieler bei den Profis sammelte er erste Einsätze in der Europa League und durfte sich sogar über sein Länderspieldebüt in der Niederländischen Nationalmannschaft freuen.
Allerdings wollen wir nicht unterschlagen, dass vor allem die Hinrunde 2016/2017 alles andere als optimal für den in Utrecht geborenen Shootingstar verlief. Sie offenbarte, dass Bazoer besonders charakterlich noch einiges zu lernen haben dürfte. Gerade einmal fünf Liga-Einsätze stehen dabei sinnbildlich für die Ungereimtheiten zwischen ihm und dem neuen Ajax-Coach Peter Bosz. Während unter Vorgänger Frank De Boer Bazoer eine feste Größe darstellte, erhalten unter Bosz Kapitän Davy Claasen und Neuzugang Hakim Ziyech den Vorzug. Der anhaltenden Unzufriedenheit des Ausnahmentalents folgte nun die logische Konsequenz, dass sich die Wege von Verein und Spieler trennen.
Obwohl fast ganz Europa hinter dem niederländischen Ausnahmetalent her war, konnte sich der krisengeschüttelte VfL Wolfsburg die Dienste des Ajax Amsterdam Profis sichern. Doch was genau bedeutet der Transfer für die geschundene Seele der Niedersachsen? Auf den ersten Blick erscheint die Verpflichtung eines der größten Mittelfeldtalente Europas als absoluter Coup, doch welche besonderen Qualitäten bringt der Neu-Wolf auf den Rasen und inwieweit kann seine Verpflichtung das Spiel des VfL bereichern?
Generation Acht(er)
Möchte man Riechedly Bazoer in eine Kategorie stecken, würde man ihn am ehesten als Prototyp des modernen Achters beschreiben. Vor allem in der Defensive zeichnet sich der Niederländer mit karibischen Wurzeln durch Zweikampfstärke und ein, für sein Alter, außerordentlich gutes Stellungsspiel aus. Hierbei profitiert er zweifellos von seiner Zeit in Eindhoven, wo er fast ausschließlich auf der für ihn ungeliebten Innenverteidigerposition eingesetzt wurde. Erst der Wechsel zu Ajax ermöglichte Bazoer seine Fähigkeiten auch weiter vorne im Feld unter Beweis zu stellen.
In Amsterdam angekommen erweiterte Bazoer mit zunehmender Spielzeit auch kontinuierlich sein offensives Skillset. Durch seine Dynamik und Laufstärke ist der Youngster nahezu überall auf dem Feld zu finden, was sich vor allem im 4-3-3 System der letztjährigen Amsterdamer Meistermannschaft als einer der Schlüsselfaktoren herausstellen sollte. Als klassischer Box-to-Box Spieler schloss er durch sein intensives Laufspiel Lücken in der Defensive und öffnete zugleich Räume für die Dreier-Angriffsreihe um Topscorer Arkadiusz Milik. Besonders hier erinnert die Spielweise Bazoers der an die von Neu-Bayer Renato Sanches. Beide strahlen auf dem Feld eine unglaubliche Ruhe und Präsenz aus, welche den Betrachtern mit der Zeit vergessen lassen, dass sie gerade einmal 20 respektive 19 Jahre alt sind.
Aber auch mit dem Ball weiß der Niederländer zu überzeugen. In der abgelaufenen Saison konnte Bazoer eine Passgenauigkeit von 84% vorweisen, welche angesichts seiner hohen Anzahl an langen vertikalen und diagonalen Pässen einen ausgesprochenen guten Wert darstellt. Wenn man in Riechedly Bazoers Spiel also eine Schwachstelle ausmachen möchte, ist diese weniger in der Defensive oder in einem mangelnden Spielverständnis zu finden, sondern vielmehr in seinen noch fehlenden Qualitäten vor dem Tor. Zwar sorgt der Mittelfeldmotor immer wieder durch Schüsse aus der zweiten Reihe für Gefahr, jedoch gehören Vorstöße in den gegnerischen Strafraum bei seinem Spiel eher der Seltenheit an. Immerhin erzielte er in der abgelaufenen Saison in der holländischen Eredivisie fünf Treffer – den Großteil davon in der Rückrunde – und zeigte damit auch in diesem Bereich eine ansteigende Tendenz.
Alte Systeme, frischer Wind?
Ab der Rückrunde wird Riechedly Bazoer also für den Klub aus der Autostadt auflaufen. Zweifellos verspricht der Transfer einen Qualitätsgewinn für das zentrale Mittelfeld der Wölfe, bedenkt man, dass mit einem möglichen Abgang von Luiz Gustavo auf dieser Position ohnehin Nachholbedarf bestünde.
Wie sich der Niederländer in das System von Valerien Ismael einfügen wird, hängt dabei vor allem von der zukünftigen Grundausrichtung des Teams ab. Am wahrscheinlichsten erscheinen zur Zeit eine 3-5-2-Formation, wie zuletzt bei den Niederlagen gegen Bayern und Hertha, oder ein klassisches 4-1-4-1 mit drei zentralen Mittelfeldspielern. Bei beiden Optionen würde Bazoer wohl den Platz auf der offensiveren Position des Achters einnehmen. Zusammen mit Josuha Guilavogui als Defensiv-Anker und Maxi Arnold (Bzw. Paul Seguin oder Yannick Gerhardt) als zusätzliche kreative Komponente braucht sich das Zentrum des VfL definitiv nicht zu verstecken.
Ein anderes Szenario ist eng mit den Personalien Daniel Didavi und Julian Draxler verknüpft. Durch den Abgang von Julian Draxler zu Paris Saint-Germain ist der Ex-Stuttgarter Didavi der einzige nominelle Zehner im Kader der Wolfsburger. Erst wenn dieser seine anhaltenden Verletzungsprobleme in den Griff bekommt, ist eine Umstellung auf ein 4-2-3-1 System im Bereich des Denkbaren. Ob Bazoer auch in dieser Ausrichtung seine Qualitäten auf der ungewohnten Doppelsechs voll zur Entfaltung bringen kann, darf insbesondere hinsichtlich seiner momentan fehlenden Spielpraxis bezweifelt werden. Ebenfalls zweifelhaft erscheint, ob die stets hoch angesetzten Ambitionen der VW-Führungsetage sich allein mit seiner Ankunft verwirklichen lassen. Um die Saison doch noch auf einem Europa-League Platz zu beenden, und somit wieder internationale Größen in der Volkswagen Arena zu begrüßen, bedarf es im Hinblick auf die zur Zeit ungewöhnlich hohe Dichte an der Tabellenspitze fast schon mehr als nur ein kleines Fussballwunder.
Dennoch, sowohl aus Wolfsburger-, als auch aus Spielersicht birgt der Transfer ein äußerst geringes Risiko. Die Niedersachsen erhalten für vergleichsweise wenig Geld einen der talentiertesten Mittelfeldspieler Europas; und auch Bazoer kann mit Blick auf die Leistungen seiner zukünftigen Mitspieler in den letzten Wochen durchaus auf einen deutlichen Anstieg seiner Einsatzminuten hoffen. So könnte der VfL für den Niederländer als Sprungbrett für größere Aufgaben bei europäischen Top-Teams fungieren.
Eins dürfen allerdings beide Parteien nicht vergessen: Magische Nächte wie jene am 06. April 2016 gehören in Wolfsburg trotz dieses Transfercoups – zumindest vorerst – wohl der Vergangenheit an.