Was sich beim ersten Lesen wie eine wahre Schnappsidee anhört, ist unser voller ernst: Wir empfehlen Bayer 04 Leverkusen einen oder mehrere Bailey(s). Doch der Reihe nach. Ähnlich wie bei dem letztjährigen Mitkonkurrenten um die Spitzenplätze der Bundesliga, Borussia Möngchengladbach, laufen auch die Spieler der Werkself den Erwartungen hinterher. Im Fanglager scheiden sich mittlerweile die Geister an Trainer Roger Schmidt – eine weitere Parallele zum rheinischen Rivalen. Leverkusens Auftritte in dieser Saison zeigen, dass sie sich momentan an einem Scheideweg befinden, an dem die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft etwas eingerostet scheinen und neu geölt werden müssen. Wie also kann eine solche Kurskorrektur aussehen? TK hat für euch einen Blick auf den bisherigen Saisonverlauf genommen und plädiert für neues Personal im Stellwerk, ehe der Zug im Sommer entgleisen sollte.
Akku leer? Leverkusen zwischen Berechenbarkeit und Dauerbelastung
Schon kurz nach Roger Schmidts Amtsantritt wurde deutlich, dass der aus Salzburg geholte Fußballlehrer das Spiel in der Bundesliga verändern sollte: Schmidt brachte sein Mantra eines laufintensiven Spiels mit frühem, aggressiven Gegenpressing im offensiven 4-5-1 mit in die Liga und sorgte hiermit für Überraschung und Furore. Durch sein taktisches Geschick vermochte er es, der Leverkusener Mannschaft, die beispielweise zur Zeit Jupp Heynckes noch abwartend, strategisch und ökonomisch agierte, neues Leben einzuhauchen; gegnerische Mannschaften waren mit dem hohen Druck Leverkusens in der eigenen Hälfte und im Mittelfeld überfordert, welcher in vielen Ballverlusten mündete, die Leverkusen durch blitzschnelles Umschaltspiel und Zielstrebigkeit in der Vorwärtsbewegung auszunutzen vermochte.
In dieser Saison zeigt sich ein gänzlich anderes Bild: In Zeiten, in denen Ralph Hasenhüttl das Schmidt’sche Spiel mit hungrigen Leipzigern perfektioniert zu haben scheint und beispielsweise auch Tuchels BVB verstärkt auf druckvolles Gegenpressig als Grundausrichtung im Spiel gegen den Ball setzt, hat sich die Liga auf das Leverkusener Spiel eingestellt. Die Werkself wirkt unter Schmidt berechenbar. Obwohl dieser in der zweiten Hälfte der vergangenen Saison bewiesen hat, dass er auch Ballbesitzfußball spielen lassen kann, hat Schmidt es bisher verpasst, der Mannschaft taktische und systemische Variationen einzuimpfen. Ob mit Schmidt oder ohne – Leverkusen muss es entweder schaffen, das eigene Spiel weiterzuentwickeln oder sich grundlegend neu zu erfinden.
Diese systemische Problematik offenbart sich vor dem Hintergrund eines vollen Spielkalenders umso mehr: „ Pausenloses, laufintensives Spiel + Mehrfachbelastung in mehrere Wettbewerben = Dauerhafter Erfolg“ ist eine Gleichung, die nicht aufzulösen scheint. Dies schlägt sich nicht zuletzt in Verletzungsmiseren nieder – der bisherige Ausfall Karim Bellarabis und die Verletzung Kevin Kampls wiegen schwer. Die Trennung von Athletiktrainer Oliver Bartlett wirkt in dieser Situation eher wie eine oberflächliche medikamentöse Behandlung der Symptome, ohne die wirkliche Ursache diagnostiziert zu haben. Solange Leverkusen nicht in der Lage ist, sich durch taktische Variabilität auch gezielt Ruhephasen vom physischen Spiel zu nehmen, werden die Probleme bestehen bleiben.
Gleichzeitig offenbart der Ausfall Bellarabis auch, wie anfällig die Leverkusener Mannschaft ist, wenn tatsächliche Leistungsträger ausfallen. Man sollte sich gar nicht ausmalen, was denn wäre, wenn etwa Chicharito im Sturm oder Ömer Toprak bzw. Jonathan Tah in der Abwehrzentrale längerfristig ausfallen sollten. Oh wait, Chicha und Toprak bleiben ja auch momentan hinter den Erwartungen zurück. Kurz: Der Leverkusener Kader wirkt auf den ersten Blick in der Breite stark, vermisst auf entscheidenen Positionen jedoch etwas die Qualität in der Spitze. Dies mag auf den ersten Blick für viele Fans und Beobachter hart klingen, scheint jedoch eine unausweichliche Schlussfolgerung der momentanen Situation zu sein: Im Sturm, auf den Außenbahnen und im Abwehrzentrum deuten sich Baustellen für Leverkusen an, insbesondere angesichts des zu erwartenden Ansturms auf die eigenen Spieler im Sommer. Grund genug, die Leinen schon im Winter möglichst festzuziehen.
Keine Ruhe vor dem Sturm: Leverkusen und das Offensivparadoxon
Julian Brandt, Hakan Calhanoglu, Karim Bellarabi: Leverkusens Spitzentrio in der Offensivreihe hinter Alleintorjäger Chicharito im Sturm ist Fluch und Segen zugleich. Segen, weil sie, wenn alles ideal läuft, wohl eine der besten offensiven Mittelfeldreihen der Liga darstellen. Fluch, weil sie zum Teil oder gar alle eventuell im nächsten Sommer nicht mehr in Leverkusen spielen. Brandt zu Bayern, Calhanoglu auf die Insel und Bellarabi zur Borussia sind Szenarien, auf die man sich zumindest vorbereiten sollte. Naja, eigentlich dringend muss. Hier sind Verpflichtungen im Winter ratsam, um bereits jetzt schon Spieler so in die Mannschaft einzufügen, dass nicht im Sommer alle komplett bei der bekannten Null anfangen müssen. Und da kommen wir zur anfänglichen Schnappsidee: Wie schon geteasert, ist unsere zentrale Transferempfehlung für Leverkusen Leon Bailey.
Der pfeinschnelle jamaikanische Youngster, über den wir bereits ein Kurzprofil angelegt haben, ist gemessen an seinem Potenzial, seinen technischen Fähigkeiten und seinem Spielwitz sicherlich in der Lage, Bellarabi nach einer Phase der Akklimatisierung langfristig zu ersetzen. Genau aufgrund der Leistungsschwankungen von jungen Spielern wäre es auch ratsam, Bailey (sollte man sich gegen die internationale Konkurrez durchsetzen können) schon im Winter an den Rhein zu lotsen. Eine größere Lösung à la Jesé scheint in Anbetracht der Boldt’schen Meisterleistung des Chicharito Transfers zwar nicht unmöglich, wirkt jedoch insgesamt eher unwahrscheinlich. Auch der Schalker Eric Maxim Choupo-Moting wäre aufgrund seines zum Saisonende auslaufenden Vertrages ein interessanter Kandidat für den Winter; es deutet momentan jedoch alles auf einen Wechsel zu einem mittelklassigen Premier League Club hin.
Den zweiten Spieler, den wir für die offensiven Außenbahnen empfehlen ist das Jungtalent Levi Garcia vom AZ Alkmaar. Der 20 Jahre alte Linksaußen aus Trinidad, welcher ähnlich wie Bailey über seine Tempodribblings ins Spiel kommt und zudem durchsetzungsstark ist, dürfte die deutlich günstigere Variante im Vergleich zu einem Georges Ntep sein. Garcia versteht es, durch seinen Antritt Gegner zu überlaufen oder das Foul zu ziehen, welches ihn zumindest für die Abwehrspieler in der Erendivise nur schwer zu stoppen macht. Zudem überzeugt Garcia in jungen Jahren schon durch ein präzises Pass- und Flankenspiel. Hervorzuheben ist noch seine gute Schusstechnik, an der er zwar weiter arbeiten muss, jedoch viel Potenzial nach oben mitbringt. Hier mal etwas zum Anschauen:
Keine Empfehlung für den Sturm? Dass Kießling trotz seines Tores auf Schalke mittlerweile seinen Zenit deutlich überschritten haben sollte, dürfte jedem Fan und Beobachter klar sein. Kevin Volland sieht sich selbst dauerhaft eher als zweiter Stürmer als auf der Außenbahn. Dies unterschreiben wir genau so und würden Volland als Stürmer Nummer Zwei hinter oder neben Chicharito aufbauen. Falls man jedoch wirklich noch nach einem Stürmer suchen sollte, könnte man in Rotterdams Nicolai Jörgensen oder Kiews Lukas Teodorczyk (momentan an Anderlecht ausgeliehen) die richtigen Kandidaten finden.
Bessert man den Kader auf diesen Positionen bereits im Winter auf, ist es im Sommer immer noch möglich, die Baustellen auf der Zehn und in der Innenverteidigung, welche die wahrscheinlichen Abgänge Calhanoglus und Toprak reißen werden, entsprechend zu kompensieren. Auch wenn man mit Dragovic schon einen Innenverteidiger mit Stammspielerqualitäten verpflichtet hat, werden diese Löcher wohl nur mit deutlich mehr Geldscheinen zu stopfen sein.
Vorsatz für 2017: Das Jahr effektiv beginnen!
Unsere Analyse hat gezeigt, dass der wichtigste Vorsatz für das neue Jahr bei Leverkusen lautet, die Winterpause effektiv zu nutzen. Dies bezieht sich sowohl darauf, den Kader gezielt zu verbessern als auch das eigene Spielsystem weiterzuentwickeln. Ob dies unter der Regie von Roger Schmidt passiert, werden die nächsten Spiele zeigen – in der jetzigen Situation muss auch der Trainer beweisen, dass er sich selbst weiterentwickeln kann. Es bleibt zu hoffen, dass diese Vorsätze nicht, wie in der Gesellschaft üblich, schnell wieder über Bord geworfen werden.