Chancen, Probleme und Erfahrungen in der Jugendakademie vom afrikanischen „Barca“

Didier Drogba, Yaya Toure, Pierre-Emerick Aubameyang – viele internationale Topspieler kommen aus Afrika und doch fristet der afrikanische Fußball außerhalb der WM ein gewisses Nischendasein, sodass nur wirkliche Fußball-Experten die aktuellen Entwicklungen verfolgen. Besonders bei Weltmeisterschaften im Nachwuchsbereich sorgen afrikanische Teams wie bei der U17-WM 2015 jedoch für Furore. Nigeria gegen Mali – ein Finale, was für nicht wenige Leute für erstaunte Blicke sorgte und der VfL Wolfsburg den nigerianischen Torschützenkönig Victor Osimhen ab 2017 unter Vertrag nimmt. Durch Jugendakademien werden junge Spieler professionell gefördert – bei vielen Spielern mit dem Traum den Sprung in die europäischen Ligen zu schaffen. Wir haben mit Micha Guehring, Team-Manager von Africa Soccer Developments, einer der renommiertesten Jugendakademien in Südafrika gesprochen und für euch herausgefunden, wie die Nachwuchsförderung und Ihre Konzepte im Alltag wirklich aussehen. Zudem gibt es kritische Stellungnahmen über die Wahrheit von Passfälschungen und die Finanzierung der Nachwuchsarbeit, sowie natürlich interessante Insights in das Transfergeschäft.

Als Teammanager von Africa Soccer Developments, einer der spannendsten Jugendakademien Südafrikas, haben Sie jahrelange Erfahrung im südafrikanischen Fußball sammeln dürfen. Wie sind Sie damals an den Job gekommen und was waren die Gründe für das Abenteuer Südafrika, fast 15.000 Kilometer von Deutschland entfernt?

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Micha Guehring (Team-Manager ASD)

Nach Südafrika bin ich für die Fußball-WM gekommen, damals war ich mit zwei Kollegen für die VIP & Hositality Hostessen in den Stadien zuständig. Anschließend habe ich bei einem Profiklub begonnen, dort allerdings wenig Profihaftes vorgefunden. Auch die Zeit Dinge zu professionalisieren habe ich nicht erhalten. Afrikanische Klubbesitzer – ein Thema für sich. Zu ASD ansich bin ich auf anderen Wege gestoßen: Das ASD-Talent Ayanda Patosi (Sporting Lokeren) hatte aufgrund des Todes seines Vaters große finanzielle Probleme und sollte für kleines Geld bei einem kleinen Verein für vier Jahre unterschreiben. Gott sei Dank wurde ihm rechtzeitig klar, dass er der ASD alles was er kannte und konnte, zu verdanken hatte und, dass es unfair und kurzsichtig gewesen wäre zu gehen. Ich habe damals auf beiden Seiten vermittelt und bemerkt, dass die ASD nicht nur viel professioneller war, sondern auch viel fairer im Umgang mit Spielern und deren Familien. Kurz danach wurde mir dort der Job des General    Managers angeboten, Ayanda kam gleich mit und unterschrieb wenig  später in Belgien einen Vertrag, bei dem er nach vier Monaten schon mehr verdient hatte, als er es hier in vier Jahren getan hätte.

Viele Jugendliche träumen von einer Karriere im Profifußball und schließen sich bei entsprechendem Talent Jugendakademien an. Welche Ziele verfolgt die ASD in ihrer Ausbildung und wie sieht ein typischer Tag eines Jugendspieler in ihrer Akademie aus?

 

Die ASD hat ein sehr spezielles System. Neben der Kombination aus Disziplin, Charakterbildung und europäischer Schulbildung sticht vor allem die Fußballphilosophie heraus. Ein normaler Tag beginnt um 6:30 Uhr. Nach dem Waschen wird gefrühstückt und die Hausarbeit, die wöchentlich rotiert, muss erledigt sein bevor Punkt 8:00 Uhr der Bus zum Training abfährt. Nach dem Training wird geduscht und im Bus gibt es einen Snack, da es bei der Rückkehr zur Residenz direkt in den Schulunterricht geht. Unterbrochen vom Mittagessen um 13:00 Uhr wechseln sie in Gruppen, aufgeteilt gemäß ihres Alters und ihrer Lernfähigkeit, in die verschiedenen Fächer. Kurz nach 15:00 Uhr sitzen dann alle wieder gemeinsam im Bus zum zweiten Training. Nach dem Abendessen in der Residenz stehen dann betreutes Lernen und Hausaufgaben an. Life Skills Sessions, Bible Study oder die Playstation füllen die Abende an denen keine Champions League läuft. Ins Bett geht es dann ab 22:00 Uhr, je nach Alter. Mobiltelefone und Laptops werden jeden Abend eingesammelt und nur wenige Stunden am Tag zur Verfügung gestellt, schließlich ist Nachtruhe
extrem wichtig und auch sonst sind die Jungs viel zu beschäftigt.

Nach einigen Testspielen gegen europäische Vereine wurde die Spielweise ihrer Jugendteams als das „südafrikanische Barcelona“ bezeichnet. Welchen sportlichen Ansatz verfolgen Sie und worauf wird bei der Spielweise der Teams Wert gelegt?

Die Bezeichnung ehrt uns natürlich.Wir haben quasi eine europäische Insel in Afrika kreiert, wo europäisch trainiert wird und besonders auf das hohe Tempo des Balls und dem Spielaufbau Wert gelegt wird. Wir wollen besonders in der Passgenauigkeit und  in der Passgeschwindigkeit wichtige Grundlagen legen, damit sich unsere Spieler, nicht an die im Durchschnitt 2,2 Sekunden Ballannahme der PSL (Premier Soccer League, höchste Spielklasse Südafrikas; Anm. d. Red.) gewöhnen, sondern bestmöglich auf die hohen Anforderungen in den europäischen Spitzenligen vorbereitet sind.

Kommen wir zu dem Thema Transfers: Besonders bei blutjungen, afrikanischen Spielern treten bei Wechseln nach Europa verstärkt kulturelle Akklimatisierungsprobleme auf und auch Passfälschungen bei den Geburtsjahren sind keine Seltenheit. Welche Fallstricke und Fehler werden häufig begangen und mit welchen menschlichen  Werten will man da als ASD präventiv vorbeugen?

Die europäische Kultur, die in unserem Programm gelebt wird, vereinfacht denen, die den Sprung schaffen, diese Herausforderung etwas. Außerdem fließt wirklich viel Arbeit in die Life-Skills-Sessions, wobei die Zeit leider zeigt, dass dies eher theoretische Vorbereitung ist. Wenn tatsächlicher Reichtum und Ruhm kommen, dann vergessen viele leider was sie gelernt haben und auch die guten Vorsätze, aber ich denke, das ist kein rein afrikanisches Problem. Was Passfälschungen und age-cheating angeht bin ich leider mittlerweile Experte, obwohl einige Vereine bewusst betrügen, halten sich die meisten Vereine an die vom Verband geforderten Vorgaben. Originale Geburtsurkunden und Pässe sind hier jedoch zu leicht fälschlich zu erwerben, weshalb wir bei der ASD den Knochenaltertest eingeführt haben. Auch wenn viele die Methode anfechten, bei den ca. 20 Fälschern die ich persönlich damit entlarvt habe, hatte ich anschließend grundsätzlich ein Geständnis. Sobald das wirkliche Alter bekannt ist, erfährt man dann interessante, aber auch sehr traurige, Details. Oft sind die Jungs Opfer von geldgeilen Spielervermittlern, teilweise stecken auch die Eltern dahinter. So hatte ich bspw. ein reguläres ID Book auf dem Schreibtisch mit dem Bild des Spielers, der vor mir saß. Name und Geburtsdatum gehörten aber einem drei Jahre jüngeren Freund. Die Mutter geht also zu Home Affairs mit der Geburtsurkunde ihres Sohnes, nimmt aber den falschen Jungen für Fingerabdrücke und Bilder mit.

Besonders in Nigeria haben wir die Erfahrung gemacht, dass der Verband selbst talentierten Youngsters neue Identitäten verschafft. Nun muss ich natürlich vorsichtig sein, was ich preisgebe, aber mehr als ein Spieler hat erklärt, wie er ohne davon zu wissen auf einmal zwei Jahre jünger im Flieger zu einem europäischen Turnier saß. In einigen Fällen kam auch heraus, dass niemand genau wusste, wie alt der Spieler tatsächlich ist. Es gibt hier einfach nicht immer genaue Dokumentation von Geburten. Fakt ist aber, dass dies teilweise erklärt, warum es trotz vieler Weltmeistertitel im Juniorenbereich nie einen ernsthaften Kandidaten zum Gewinn des Seniorenturniers aus Afrika gibt.

Frankreich und die Beneluxstaaten gelten seit langer Zeit als beliebter Anlaufpunkt für afrikanische Spieler, um im europäischen Profifußball Fuß zu fassen und einige Spieler der ASD haben beispielsweise den Sprung nach Belgien geschafft. Wie werden ihre Spieler vermittelt und welche Erfolgsgeschichten haben auf dem Transfermarkt stattgefunden?

Belgien bietet sich aufgrund der großzügigen Ausländerregel an. Nach unserer ersten Europatour und den deutlichen Siegen gegen RSC Anderlechts und KV Mechelens U19 wurden gleich vier Spieler in Belgien platziert. Leider lief es nicht bei allen so gut wie bei Ayanda Patosi. Er hatte ein wenig mehr Biss und wahrscheinlich auch mehr fußballerische Qualität. Auch er ist kein einfacher Spieler, aber er war immer extrem fleißig und ich hoffe das bleibt so. Beinahe alle ASD-Graduates verdienen heute Geld durch Fußball, aber natürlich in ganz unterschiedlichem Umfang. Ethan Sampson, Vancouver Whitecaps (MLS) & Andisiwe Mtsila, Kaiser Chiefs (PSL) sowie einige der jüngeren Jahrgänge habe ich noch auf dem Zettel. Ganz klar als Erfolgsgeschichte gilt für uns auch Carlo Davids, der durch überdurchschnittliche akademische Leistung ein Fußball-Stipendium an der Universität von Rhode Island erworben hat.

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U19-Team Africa Soccer Developments

Wie viele Spieler schaffen jährlich den Sprung nach Europa und wie stark finanzieren diese Transfers die Arbeit der Jugendakademie?

Bei uns im Schnitt ca. ein Spieler pro Jahr, allerdings ist wichtiger, wie viele auch mehr als ein Jahr in Europa bleiben und daran müssen
wir nun im neuen Projekt arbeiten. In der Regel zahlen europäische Vereine keine Ablöse für junge Spieler, erwerben dann aber nur 50%. Bei einem eventuellen Weiterverkauf verdient die Fußballschule dann mit. Je nach Kaliber könnte dies unsere Arbeit eine Zeit lang finanzieren, bis dahin sind wir weiter auf privates Investment und Spenden angewiesen.

Wie haben sie persönlich diese finanziell schwierigen, ungewissen Zeiten in den letzten 5 Jahren erlebt und wie reagieren die Spieler im Internat auf die Situation?

Das persönliche Risiko ist natürlich groß, aber es entschädigt schon, wenn man täglich sieht, wie man denen, die sonst keine Chance im Leben hätten, eine Chance geben darf. Ich selbst habe viel investiert, damit es weiter geht und die nächsten Monate werden zeigen, ob wir unseren Plan, schon bei Talenten der U9 beginnen zu können, verwirklichen können. Um es mit den Worten Alexander Zornigers zu sagen: „Das ist alternativlos“ – Wir können und wollen einfach nicht weiterhin gute Fußballer auf den Markt werfen, die dann charakterlich nicht stark genug sind, ihre Karriere vernünftig durchzuziehen. Das ist nicht unser Anspruch. Afrika und Südafrika braucht dringend positive Beispiele wie bekannte Sportler, die auf und neben dem Platz als Vorbilder vorangehen. Bevor wir weiter Jungs eine Bühne geben, die diese nicht verdienen, hören wir lieber auf.

Kommen wir noch kurz allgemein zum südafrikanischen Fußball. Lange Zeit dominierten die Kaiser Chiefs und Orlando Pirates die heimische Liga, doch dieses Jahr grüßt Bidvest Wits FC, ein kleiner Verein, von der Tabellenspitze. Wie sehen sie die momentane sportliche Lage der Liga und welcher südafrikanische Spieler könnte der nächste große Transfer sein?

Um ehrlich zu sein, ich habe wenig Respekt vor dem, was hier in Südafrika fußballerisch passiert. Aus der FIFA 2010 legacy und den vielen guten Sportstätten wird viel zu wenig gemacht. Korruption, Rassismus und Vetternwirtschaft sind an der Tagesordnung. Junge Talente verdienen ein paar hundert Euro und sind schon zufrieden. Chiefs & Pirates füllen jedes Stadion, sie haben grundsätzlich Heimrecht, egal wo, machen aber viel zu wenig wirklich Tragbares im Jugendbereich.

Bidvest ist finanzstark und hat mit der Sportabteilung der Wits University einen guten Partner, ich denke aber nicht, dass sie es bis zum Ende durchhalten die Tabellenspitze zu verteidigen und, dass es wieder einen gewohnten Meister in Südafrika geben wird. Wir haben mit ASD gegen Chiefs, Pirates und Bidvest bisher eine extrem gute Bilanz, es ist mir schleierhaft wie man bei solchen Budgets nicht mehr Qualität in der Jugend hervorbringen kann. Riyaad Norodien von Ajax Cape Town könnte ich mir in der Bundesliga vorstellen, er ist ein sehr
trickreicher schneller Flügelspieler.

Zum Abschluss dieses ausführlichen Interviews würde ich noch gerne erfahren, welche sportlichen Projekte sie in der Zukunft angehen wollen und auch mittel- bis langfristig Südafrika ihr Lebensmittelpunkt bleiben soll!

Neben dem Plan unser Programm in Zukunft mit deutlich jüngeren Spielern zu starten, werden wir nun auch anfangen Trainer für Amateur Vereine auszubilden. Ob ich langfristig in Südafrika bleibe hängt stark davon ab inwieweit es uns gelingt diese Umstellungen durchzuziehen. Unser „Produkt“ braucht auf lange Sicht einfach noch mehr Substanz und das geht hier nur mit langen und intensiven Investment. Durch die Nachwehen der Apartheid und der Vaterlosigkeit in den Familien hier handelt es sich um kein einfaches Unterfangen, aber eben um eines, das sich hoffentlich lohnt. Wenn wir gezwungen wären so wie bisher, also von 15 bis 19 Jahre, weiter zu machen, geben wir wohl auf. Südafrika ist ein wunderbares Land, aber das Letzte was es hier braucht sind noch mehr Jungs, die sich viel zu früh viel zu wichtig fühlen und ihr Leben durch Erfolg an die Wand fahren.

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