Es war eine der Szene des 33. Spieltags der vergangen Saison: Bei einem Zusammenprall mit Vedad Ibisevic zog sich Christian Mathenia (24) im Spiel des SV Darmstadt 05 gegen Hertha BSC Berlin bereits in der Anfangsphase einen Mittelhandbruch zu – und beendete das Spiel trotzdem. Nicht erst durch diese Aktion brachte sich der Torhüter in das Visier des Hamburger SV, bei dem er nun den in die Jahre gekommenen Jaroslav Drobny als Nummer 2 ersetzen soll. Doch ist für Mathenia wirklich der Platz auf der Bank bestimmt oder verbinden sich in seiner Personalie weitergehende Überlegungen? Transferkritiker analysiert für euch die Situation zwischen den Pfosten des Hamburger Orchesters.
Vom Hintergrund ins Rampenlicht
Christian Mathenia, in Mainz geboren und aufgewachsen, begann seine Karriere beim VfL Frei-Weinheim. Nach einer Zwischenstation bei Hassia Bingen schloss er sich letztlich der Nachwuchsabteilung des FSV Mainz 05 an. Mathenia, welcher eine beachtliche Zahl von Spielen in der U-23 des Klubs absolvierte, musste sich schließlich der starken Konkurrenz eines gewissen Loris Karius beugen und wurde folglich in die zweite Reihe degradiert. Nach seinem Wechsel in Richtung Darmstadt konnte sich Mathenia jedoch als dortige Nummer 1 etablieren und mit starken Leistungen auf sich aufmerksam machen. Dabei schien sein Wechsel, an dem die Mainzer Torwartlegende Dimo Wache als Torwarttrainer der Lilien und als Idol Mathenias seinen maßgeblichen Anteil hatte, nach der Verpflichtung des Routiniers Christian Wetklo ebenfalls unter einem schwierigen Stern zu stehen. Mathenia biss sich – aufgrund von Verletzungen und Eskapaden Wetklos, aber vor allem auch durch starke eigene Spiele – durch und schwang sich zur Nummer 1 auf.
Und doch folgt nun der Wechsel zum Hamburger SV, bei dem Rene Adler auf den ersten Blick gesetzt scheint. Tritt Mathenia also erneut in das zweite Glied? Das Sprichwort „die zweite Geige spielen“ bedeutet im Volksmund so viel wie „in den Hintergrund treten“ oder „nicht erste Wahl sein“. Eher negativ konnotierte Attribute, die bei vielen in Anbetracht der Entwicklung Mathenias Unverständnis auslösen könnten. Nicht nur wurde Mathenia in der Aufstiegssaison Darmstadts 14/15 mit dem „Die Weiße Weste“-Award als stärkster Torhüter der damaligen Spielzeit in der 2. Bundesliga ausgezeichnet, sondern er hatte auch maßgeblichen Anteil an der Erfolgssaison in Liga 1, in der die Darmstädter auf Platz 14 ins Ziel kamen.
Rolle rückwärts? Mit Druck aus der zweiten Reihe
Mathenia wechselt in einer Situation zum Hamburger Sportverein, in der die finanzielle Not in etwaiger Zukunft eine weitere Baustelle schaffen könnte: Zwar befindet sich Adler mit seinen 31 Jahren im besten Torwartalter und gehört zweifelsohne zu der oberen Riege seiner Zunft, kratzt mit einem kolpotierten Jahresgehalt von 2,5 Millionen Euro aber auch an der obersten darstellbaren Grenze für den Verein. In Zeiten, in denen sich immer wieder latente Zweifel an der Erfüllung von Lizenzauflagen trotz kräftiger Finanzspritzen regen, birgt die Personalie Mathenia also ungeahntes Potenzial.
Christian Mathenias Stärken liegen klar auf der Linie. Dort weiß er mit Reaktionsschnelligkeit und guten Reflexen zu überzeugen, mit denen er so manche Stürmer in der abgelaufenen Saison hat verzweifeln lassen. Bereits in der letzten Saison zeigte er sich bei Flanken sowie im Herauslaufen und der Strafraumbeherrschung verbessert, besitzt auch hier jedoch noch Potenzial nach oben. Gleiches gilt für seine langen Abschläge, die des öfteren eher die gegnerische Trainerbank als den Mitspieler zu finden scheinen. Mathenia verkörpert mit seiner Spielweise nicht den oft gepriesenen mitspielenden Keeper a la Manuel Neuer oder Yann Sommer, besticht jedoch in den wichtigen Situationen meist durch seine klassische Interpretation der Position. Hinsichtlich seiner Führungspersönlichkeit muss Mathenia auch noch weiter zulegen, um die Rolle des scheidenden Leitwolfs im Hintergrund, Jaroslav Drobny, kompensieren zu können. Mathenia, der über sich selbst sagt, ein eher ruhiger Typ zu sein, zeigt auf dem Platz zwar schon gute Ansätze in diese Richtung, kann aber noch offensiver und selbstbewusster auftreten.
Mathenia ist ein zwar ruhiger, aber doch fokussierter Torhütertyp der alten Schule, der mit weiterem Entwicklungspotenzial ausgestattet ist: der Konkurrenzkampf im Hamburger Tor wird durch ihn neu entfacht. Zugleich ist sein Transfer nicht bloß eine Absicherung, sondern auch ein Versprechen für die Zukunft. Obwohl er sich wohl zunächst hinter Adler anstellen muss, könnte er schon bald von günstigen Entwicklungen profitieren. Zudem kennt er sich im Windschatten aus und wird weiter wachsen, sodass er ähnlich eines Crescendos in der Musik versuchen wird, in den Vordergrund zu drängen. Sollte er es auch schaffen, sich verstärkt als Dirigent zu etablieren, könnten es die Hamburger schaffen, sich eine eigene langfristige Ablöse für Adler heranzuziehen. Trotz all dessen muss auch gesehen werden, dass Mathenia bei einem Verbleib in Darmstadt gesetzter Bundesligatorhüter gewesen wäre und dabei hätte mithelfen können, Darmstadt in der ersten Spielklasse zu etablieren. Der Wechsel zum Hamburger SV, der in der letzten Saison sportlich nicht wesentlich besser abgeschnitten hat als die Lilien gleicht der Hoffnung auf größere internationale Aufgaben und der Gefahr, nicht erste Wahl zu sein. Diese scheint Mathenia bei diesem Karriereschritt in Kauf nehmen zu wollen.
Autor: Julian Wacker