Gonzalo Castro war vermutlich lange Zeit, einer der am meisten unterschätzten Fußballspieler der Bundesliga, obwohl er technisch gesehen, zu den stärksten Spielern des Oberhauses gehört. Ein Spieler, der sich betont bodenständig und gewissenhaft über die Jahre, fernab der Glitzerwelt der Klatschgazetten, zum Leader der Leverkusener Werkself entwickelte. Ein Spieler, der aber erst seit jüngster Vergangenheit in den Fokus der Konkurrenz geriet und nun nach insgesamt 16 Jahren bei Bayer 04 Leverkusen eine neue Herausforderung bei Borussia Dortmund angeht. Der BVB bezahlt 11 Millionen Euro Ablöse und bindet den Deutsch-Spanier für vier Jahre bis 2019. Auf wen sich Dortmund nun freuen kann, welche Gründe den Ausschlag für den Wechsel gegeben haben und wo Trainer Tuchel mit Castro plant, liest du im heutigen Artikel.
Tatort Bay-Arena, 5.4.2015: 92 Minuten gespielt, der Schlusspfiff ertönt, die Spieler schleichen zum Trikottausch über den Platz, im Hintergrund Sprechchöre der Leverkusener Fans. Man gewann nicht nur 4:0 gegen den Hamburger SV, man zelebrierte den Fußball förmlich und die Fangesänge galten einem Spieler, der auch beim Trikottausch an diesem Abend zu den gefragtesten Tauschpartnern gehörte, nämlich: Gonzalo Castro. Dieser gebürtige Wuppertaler und Bayer-Urgestein fungierte im zentralen offensiven Mittelfeld wie aufgedreht, spielte mustergültige Pässe in die Schnittstellen der Abwehr, war Ballverteiler mit den meisten Ballkontakten, stellte Passwege zu und erzielte zudem noch 2 Tore und leistete 2 Vorlagen. Ein wohlverdienter Schulterschluss mit den Fans, die ihn zwar über Jahre wertschätzten, aber auch als Eigengewächs häufiger besonders kritisch beäugten.Der 1,72m kleine Castro galt bereits zur Zeit seines ersten Bundesligaeinsatzes unter Trainer Klaus Augenthaler als technisch und taktisch überaus versierter Spieler, sodass ihm schnell aufgrund seines Spielverständnisses und Flexibilität ein Platz in der Mannschaft sicher war. Seine unvergleichliche Polyvalenz und Handlungsintelligenz war allerdings ein zweischneidiges Schwert, da es ihn zwar einerseits dauerhaft in die Mannschaft spülte und bis heute beinahe 300 Bundesliga-Spiele bescherrte, allerdings aufgrund der ständigen Positionswechsel zwischen Rechtsverteidiger, zentralem, defensivem,offensiven Mittelfeld sowie auf den Außenbahnen, eine Entwicklung auf einer festen Position zur Weltspitze bislang versagt blieb. Diese ständige Positionsrochade ging bis zur Mitte dieser Saison, als Trainer Roger Schmidt dem Wunsch dauerhaft im zentralen Mittelfeld zu spielen erfüllte und der unglaublich konstante 27-Jährige noch eine Schüppe drauflegen konnte und in den letzten Spielen der Saison zu einem der herausragenden Spieler im Schatten der Selbstmarketing-Superstars der Bundesliga aufschwung.
Castro wagt jetzt zum ersten Mal den Schritt zu einem anderen Verein und findet in Dortmund beste Vorraussetzungen. Auf seiner favorisierten ZM-Position herrscht nach dem Karriereende von Routinier Kehl, den möglichen Abgängen von Gündogan und Jojic, sowie den verletzungsanfälligen Sven Bender und Nuri Sahin, eine gute Planstelle, auch abseits der Heimat eine wichtige Rolle zu übernehmen und das aus mehreren interessanten Gründen. Beschäftigt man sich mit der Spielweise Castros, fällt auf, dass er einen Mix aus allen oben genannten Spielern bildet. Er bringt die Erfahrung und Konstanz eines Kehls, die Zweikampfstärke eines Benders, sowie die Spielintelligenz und Technik im Aufbauspiel von Gündogan und Sahin, als auch die Dynamik eines unbekümmerten Jojic mit. Da er außerdem notfalls auch die dünn besetzte Außenverteidiger-Position bekleiden und auch im offensiven Mittelfeld agieren, macht der Transfer dieses hybriden Spielertyps vollends Sinn und es erscheint als sehr wahrscheinlich, dass sich Castro auch im schwarz-gelben Dress zu einem Leistungsträger aufschwingen kann. Besonders Neutrainer Thomas Tuchel dürfte in seinem taktisch-anspruchsvollen Spielkonzept Gefallen an diesem fünf-maligen Ex-Nationalspieler haben.
Insgesamt kann man festhalten, dass Borussia Dortmund ein überaus interessanter Transfer gelungen ist, der Dortmund sowohl in der Breite als auch in der Spitze verstärken sollte. Castro bringt keinen schillernden Namen mit, jedoch dürfte das Risiko eines Transferflops nach den vermeintlichen Hofnungsträgern der letzten Jahre aus dem europäischen Ausland, sich im einstelligen Prozentbereich bewegen. Vielleicht wird es dann ja auch wieder etwas mit der Nationalmannschaft, für die er schon seit einigen Jahren unverständlicherweise nicht mehr nominiert wird. Vielleicht wird er auch nur Edeljoker bei den Borussen sein, doch eines ist sicher: Castro geht nun behutsam den nächsten Schritt zur Eigenständigkeit in eine neue Welt und vielleicht ertönen ja auch bereits am Anfang der nächsten Saison Sprechchöre der gewaltigen Dortmunder Südtribüne in Richtung des Spielfeldes.