Caglar Söyüncü heißt der Mann, der von gefühlt halb Europa gejagt wurde. Der Mann, dessen Namen man lieber ein zweites Mal liest, bevor man ihn fehlerfrei ausspricht, wurde unter anderem gescoutet vom fünffachen Euro-League-Sieger FC Sevilla, auch Champions-League-Teilnehmer Bayer Leverkusen bekundete Interesse, ebenso der 1. FC Köln. Letzten Endes tat Söyüncü das, was man wohl am wenigsten erwarten konnte, was sich im Nachhinein womöglich allerdings als die klügste Entscheidung herausstellen wird: Er unterschrieb beim Bundesliga-Aufsteiger SC Freiburg. Das ist mit ziemlicher Sicherheit der Verein, der ihm am wenigsten Geld bieten konnte, ihm dafür aber die besten Ausbildungsmöglichkeiten fast schon garantiert.
Noch niemals erste Liga
Auffällig in der Vita von Söyüncü: Er spielte noch nie bei einem Erstligisten. Sei es zu Beginn der noch jungen Karriere des 20jährigen Innenverteidigers der Klub Menemen Belediyespor oder anschließend die Stationen Bucaspor, Yesiltepe und zuletzt Altinordu – es sind allesamt unterklassige Vereine.
Doch bei dieser letzten Station startete der Türke durch und wurde zuletzt für seine Leistungen in der „1. Lig“ (so heißt die 2. türkische Liga unterhalb der „Süper Lig“) von Nationaltrainer Fatih Terim belohnt. Nach einem Kurzeinsatz im Länderspiel gegen Schweden darf sich Söyüncü ab sofort Nationalspieler nennen, steht sogar im vorläufigen Kader für die EURO, während Terim auf den routinierten und in der Champions League erprobten Ömer Toprak aus deutscher Sicht völlig unverständlich verzichtete.
Super-Talent könnte Probleme bekommen
Gemessen am Leistungsvermögen der türkischen Innenverteidiger hat Caglar durchaus seine Daseinsberechtigung im Kader der Nationalmannschaft. Dort steht er neben den gestandenen Spielern wie Semih Kaya oder Hakan Balta und füllt mit 20 Jahren und aus der zweiten Liga kommend, die Rolle des „Wunderkinds“ aus. Was immer man davon hält, einen jungen Zweitligaspieler so hoch zu handeln: Alle – Scouts aus Europa und die Verbandstrainer – können sich nicht geirrt haben. Probleme könnte ihm höchstens die Tatsache bereiten, dass dieser Aufstieg ein bisschen schnell vonstattengeht und die Psyche unter dem großen Druck der Öffentlichkeit nicht mit dem fußballerischen Vermögen Schritt hält.
Aber was kann der Lockenkopf wirklich?
Der Innenverteidiger verfügt über die Fähigkeit, frühzeitig Situationen zu erkennen und sie zu bereinigen, ehe es wirklich gefährlich wird. Diese Gabe zur Antizipation und seine Abgeklärtheit sind in diesem Alter alles andere als selbstverständlich. Dazu ist der 1,87 Meter große Defensivakteur körperlich sehr präsent und ist neben seinem Körperbau extrem stark im Timing und verfügt zudem über eine immense Sprungkraft, die einigen Angreifern in der Bundesliga Probleme bereiten könnte.
Sein Zweikampfverhalten ist exzellent, dank seiner Schnelligkeit schaltet er sich auch gerne ins Angriffsspiel ein. Mit einem abgeklärten Aufbauspiel und einer starken Technik wird er auch offensive Impulse setzen, als Beleg dafür machte er sich in der Türkei bereits mit sehenswerten Toren auf sich aufmerksam.
Wie bei vielen schnell in den Vordergrund geschossenen Talenten droht allerdings auch ihm eine Delle in der Karriere. Mit 20 Jahren ist er einerseits noch sehr entwicklungsfähig, andererseits jedoch ist er entsprechend unerfahren, zumal er auch bisher „nur“ in der zweiten türkischen Liga spielte. Wie reagieren die Angreifer ein paar Klassen höher? Wie schnell gewöhnt er sich an Spielgeschwindigkeit, Härte und das Durchsetzungsvermögen der Bundesliga-Angreifer – eine Ellbogen-Gesellschaft im wahrsten Sinne des Wortes. Das kann schmerzhaft sein, an Körper und Seele.
Anpassungsprobleme wären also überhaupt kein Wunder, ebenso eine Zukunft zunächst auf der Bank. Garantiert ist ihm auf jeden Fall ein Top-Trainer mit Christian Streich, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, junge Spieler an die Erstklassigkeit heranzuführen. Schafft er den Sprung, wäre er ein schönes Beispiel dafür, dass ein sogenanntes Top-Talent nicht unbedingt alle Jugendmannschaften der Elite-Vereine zu durchlaufen braucht.
Er hat jetzt zwei Chancen, um zu beweisen, dass er für die Bundesliga bereit ist. Zum einen während der EURO, wenn nicht durch Einsätze, dann doch dank des Trainings auf deutlich höherem Niveau als bisher. Dann schließlich in der Saisonvorbereitung mit dem SC Freiburg, wo es um menschliche und sportliche Eingewöhnung geht für ihn. Die ersten Wochen sind da häufig die Wichtigsten, zum ersten Mal wird er sich mit seinen Teamkollegen messen. Stand jetzt trifft er auf namhafte Konkurrenz. Sei es Marc Torrejon, Marc-Oliver Kempf oder Neuzugang Manuel Gulde, während Immanuel Höhn Freiburg wohl verlassen wird. Sie haben alle schon auf hohem Niveau gespielt und überzeugt.
Für Söyüncü gilt es nun, diese Konkurrenz hinter sich zu lassen und so schnell wie möglich zu einem Bundesligaspieler zu reifen. In Freiburg wissen sie besser als anderswo, mit solchen Spielern umzugehen. Nicht umsonst wurden rund zwei Millionen Euro investiert in diese noch relativ unbekannte Größe, er wird Zeit bekommen, Zuneigung erfahren und langsam an den Konkurrenzkampf herangeführt. Verheizt worden ist bei Streich noch keiner, wild wird der „Vulkan“ nur, wenn er merkt, dass da einer nicht wirklich will. Aber da muss er sich wohl keine Sorgen machen. Söyüncü erklärte nach dem Wechsel: „“Die Stadt, die Struktur des Klubs und der positive Eindruck, den der Trainer bei mir hinterlassen hat, waren ausschlaggebend.“ In Freiburg lobten sie Söyüncüs „Zweikampfstärke und Dynamik“, im kicker wies Sportdirektor Klemens Hartenbach allerdings sofort auf eine „notwendige Eingewöhnungszeit“ hin.
Fazit:
In Freiburg weiß man bei jungen Profis, was wirklich wichtig ist! Deshalb dürfte die für SCF-Verhältnisse relativ hohe Ablösesumme von zwei Millionen Euro eher kluge Investition als unkalkuliertes Risiko bedeuten. Söyüncü besitzt alle Voraussetzungen den Sprung zu packen, wenn er die schwere Zeit des sportlichen und menschlichen Eingewöhnens positiv angeht, werden wir noch viel Gutes von ihm hören. Die fußballerischen Voraussetzungen dazu hat er ganz sicher.
Autor: Eliano Lußem